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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Volkelt, Johannes: Persönliches und Sachliches aus meinen ästhetischen Arbeitserfahrungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0166

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162 JOHANNES VOLKELT.

menhange bilden, und daß durch sie der Untersuchung wichtige
psychologische Fragen und Aufgaben gestellt werden. Die andere
Richtung dagegen läßt sich von den ästhetischen Vorgängen vor allem
darum zu wissenschaftlichem Untersuchen bestimmen, weil ihrem
Boden die Schöpfungen der Kunst entspringen und alle solche Wert-
gebiete wie Schönes, Anmutiges, Erhabenes, Tragisches, Komisches,
auf ihnen beruhen. Für diese Richtung ist es also an erster Stelle
der Zusammenhang der ästhetischen Vorgänge mit der Kunst, dem
Schönen und den ihm ebenbürtigen Gestaltungstypen, wodurch sie
sich zur wissenschaftlichen Bearbeitung dieser Vorgänge angetrieben
fühlt. Beide Richtungen wollen psychologische Zergliederung und
Begründung geben; nur ist die eine zugleich auch wesentlich von
der Psychologie her bestimmt, die andere mehr von der Kunst her.

Jede der beiden Richtungen hat ihre eigentümlichen Vorzüge. Dar-
stellungen der ersten Art lassen in der Regel den Zusammenhang der
ästhetischen Gefühle und Vorgänge mit dem seelischen Gesamtleben
deutlicher hervortreten; sie sind mehr geschützt vor einem Stehen-
bleiben bei bildlichen und nur annäherungsweise geltenden Vorstel-
lungen; sie dringen bei der Zergliederung mit stärkerem Triebe bis zu
den einfachsten seelischen Funktionen vor. Anders bei Darstellungen
der zweiten Richtung: hier herrscht reichere Sättigung mit ästhetischer
Erfahrung und Anschauung; Beispiele strömen freigebiger; der Leser
fühlt sich zugleich in Gefühl und Phantasie angeregt; das Studium
einer solchen Ästhetik führt ihn mitten in das Schöne und die Kunst
hinein. Natürlich handelt es sich hier um fließende Übergänge, um
ein Mehr oder Weniger. Und so läßt sich denn auch ein Ideal von
Ästhetik denken, das die Vorzüge beider Richtungen in sich vereinigt.

Meine eigene ästhetische Arbeitsweise gehört der zweiten Art an.
Sie steht durchweg auf dem Boden der Psychologie1), aber der Um-
gang mit der Kunst und die hierbei entstehenden Fragen geben mir
den Hauptanstoß. Am deutlichsten zeigt dies die »Ästhetik des Tra-
gischen«. Meine Ansicht über das Tragische hatte sich mir in meiner
Jugend vorzugsweise im Anschluß an Hegel und Friedrich Vischer
gebildet. Die Umbildung dieser Ansicht vollzog sich langsam unter
dem Zwange der Eindrücke, die ich von den Gestaltungen des Tragi-
schen in der Dichtkunst erhielt. Besonders moderne Dichtungen

]) Es ist daher begreiflich, daß ein Ästhetiker metaphysischer Art wie Drews,
der Anhänger Hartmanns, das Grundübel meiner Ästhetik in ihrer durchweg psycho-
logischen Grundlegung sieht (Preußische Jahrbücher, Bd. 123, S. 49 ff.). Umgekehrt
findet Anna Tumarkin, die alle normative Ästhetik ablehnt, daß bei mir das Psycho-
logische nicht genug zur Geltung gebracht sei (Archiv für systematische Philosophie,
Bd. 11, S. 377 ff.).
 
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