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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Cohn, Jonas: Zur Vorgeschichte eines Kantischen Ausspruchs über Kunst und Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0188

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184 JONAS COHN.

des Spectator in dem Abschnitt, der über die Einbildungskraft handelt.
Addison geht davon aus, daß die Werke der Natur denen der Kunst
durch ihre Weite und Unermeßlichkeit überlegen sind — ein Gedanke,
der in Kants Lehre vom Erhabenen wieder anklingt. Um das zu be-
weisen, vergleicht Addison Parks und Paläste mit natürlichen Land-
schaften und preist das Landleben mit Zitaten aus Horaz und Vergil.
Dann fährt er fort1): »Allein obgleich viele von diesen wilden Auf-
tritten weit ergetzlicher sind, als irgend einige künstliche Schauspiele:
so finden wir dennoch, daß die Werke der Natur um desto ange-
nehmer sind, je mehr sie den Werken der Kunst gleichen. Denn in
diesem Falle entspringt unser Vergnügen aus einem doppelten Grunde:
nämlich von der Annehmlichkeit der Gegenstände für das Auge und
von ihrer Ähnlichkeit mit anderen Gegenständen.« Hier wird also als
Erklärung das intellektuelle Vergnügen am Vergleichen benutzt, ein
Gedanke, der den antiken Vorläufern fern zu liegen scheint, bei Tasso
vielleicht leise anklingt, bei Kant aber keine Rolle spielt. Nachdem
dieser eine Teil unseres Satzes noch durch einige Beispiele erläutert
ist, wird dann der zweite in den Worten gegeben: »Wenn die Ge-
burten der Natur einen Wert erlangen, nachdem sie mehr oder weniger
den Werken der Kunst gleichen: so können wir gewiß sein, daß die
künstlichen Werke einen größeren Vorteil von ihrer Gleichheit mit
solchen Werken erhalten, die natürlich sind; weil die Gleichheit allhier
nicht allein ergetzend, sondern das Muster auch viel vollkommener ist.«
Addison preist dann als schönstes Gemälde das sich bewegende und
farbige Bild an den Wänden einer Camera obscura. Wenigstens durch
seine verblüffende Ehrlichkeit und Konsequenz ist dieser alte Anhänger
der Illusionstheorie seinen Nachfahren überlegen. Daran schließt sich
eine Empfehlung des Natürlichen im Gartenbau.

Daß Kant Addison kannte und hochschätzte, ist sicher. In der
Vorlesung über Anthropologie, Winter 1779/80, die uns in der Nach-
schrift eines gewissen Brauer erhalten ist, wird Addison neben Young
und Pope unter den großen Autores der Engländer genannt, die etwas
Frappantes und Flohes, aber nichts Gefallendes, keinen Geschmack in
ihren Schriften haben2). Kann man hier zweifelhaft sein, an welche
Schriften Addisons gedacht ist, so wird etwas später der »Zuschauer«
ausdrücklich von Kant gepriesen. In der Nachschrift eines gewissen
Hoff mann, die 1782 datiert ist, besitzen wir Kants Vorlesungen über
die Vernunftlehre, d. h. Logik, wahrscheinlich in der im Sommer 1780

') Ich zitiere die deutsche Übersetzung: »Der Zuschauer«. Aus dem Englän-
dischen übersetzt. Die zweite verbesserte Auflage Leipzig, Breitkopf, 1751, VI, 89.
Der Hauptsatz (»Wenn die Geburten ...«) ist bei Schlapp a. a. O. englisch angeführt.

2) Schlapp a. a. O. S. 214.
 
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