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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Ameseder, Rudolf: Über Wertschönheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0208

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204 RUDOLF AMESEDER.

abgeleitetes. Das einzige ursprüngliche Verhalten dieser ästhetischen
Gegenstände zu unserem Gemütsleben scheint darin zu bestehen, daß
sie wertvoll sind; also muß wohl die Gewohnheit, jene Objekte wert-
zuhalten, die Fähigkeit herbeiführen, auf sie ästhetisch zu reagieren.

Wie die Ableitung, nämlich das Entstehen einer ästhetischen Reak-
tion aus unserem ursprünglichen Verhalten zum wertvollen Gegen-
stande Witaseks Auffassung entsprechend genauer zu denken wäre,
ergibt sich bei näherer Betrachtung der Wertgefühle und der ästhe-
tischen Gefühle.

Wenn ein Gefühl, gleichviel von welcher Art, sich auf einen
Gegenstand richtet, so steht dieses Gefühl niemals allein, sondern es
bedarf eines intellektuellen Tatbestandes, mittels welches der Gegen-
stand zunächst erfaßt wird. Z. B. sehe ich eine Farbe und freue mich
an ihr, ich reproduziere eine Melodie und sie gefällt mir, oder ich
glaube, daß ein Ereignis eintreten wird, und bin betrübt darüber u. s. w.
Die Wahrnehmungsvorstellung von der Farbe, die reprodu-
zierte Vorstellung von der Melodie, die Überzeugung (das
Urteil)x) vom Eintreten des Ereignisses sind also hier die Voraus-
setzungen der Gefühle, die mit ihnen natürlich in einen sehr festen,
für den in psychologischer Analyse Ungeübten häufig sogar einfach
aussehenden Komplex eingehen. Ob die Gefühlskomponente dieses
Komplexes qualitativ variabel ist, mag derzeit dahingestellt bleiben,
jedenfalls variiert der ganze Komplex mit der intellektuellen Voraus-
setzung. Gefühle mit einem Urteil, das seinerseits natürlich auf Vor-
stellungen aufgebaut ist, als Voraussetzung sind z. B. Wertgefühle;
diejenigen Gefühle, welche bloß Vorstellungen zur Voraussetzung
haben, sind allerdings nicht so einheitlich zu charakterisieren — nach
Witasek sind jedenfalls alle ästhetischen Gefühle Vorstellungsge-
fühle, d. h. sie haben Vorstellungen zur Voraussetzung.

Auch nicht alle Wertgefühle sind ursprünglich; zu vielen Objekten
bildet sich erst im Lauf der Zeit oder aber im Hinblick auf ihren

') Unter »Überzeugung« oder »Urteil« ist hier nichts anderes zu verstehen, als
was dem natürlichen Sprachgebrauch entspricht. Diesen, jedem geläufigen Tat-
bestand hat Meinong als Voraussetzung desjenigen Gefühles erwiesen, mit welchem
man auf Wertvolles reagiert, und das demzufolge auch wohl ganz natürlich von
ihm als Wertgefühl bezeichnet worden ist. Wer jemals beim Erleben einer Über-
zeugung auf sein Verhalten geachtet hat, weiß allerdings auch, daß die Überzeugung
mehr ist, als die mit ihr auftretenden Vorstellungen. Aber die Analyse des Wert-
gefühles ist von der näheren Untersuchung der Überzeugung unabhängig und be-
steht jedenfalls zurecht, mag das, was man herkömmlich Urteil nennt, sonst eigen-
artig sein oder nicht. H.Spitzer irrt also, wenn er in seiner Bemerkung in dieser
Zeitschr. S. 85 behauptet, daß die psychologische Werttheorie, wie sie von Meinong
begründet wurde, etwas mit Brentano zu tun habe.
 
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