212 RUDOLF AMESEDER.
Eigenschaften des Werkzeuges gerichtet wäre, sondern auf solche, die
ihm eventuell nicht zukommen; es ist ja möglich, das Urteil zu fällen:
»Der Zweck des Werkzeuges ist das Schneiden«, ferner die Annahme
zu machen, daß das Instrument hiezu tauglich sei. Daraus resultiert
dann ein Phantasiewertverhalten1), welches aber nicht mehr auf das
vorliegende, zum Schneiden untaugliche, sondern auf ein taugliches
Objekt gerichtet ist. Unser wertästhetisches Verhalten ist auf die tat-
sächliche Tauglichkeit eines Objektes zu einem tatsächlich vorliegenden
Zweck gerichtet, und deshalb kann keine der beiden erwähnten An-
nahmen dabei eine Rolle spielen. An den angeführten Beispielen hat
sich aber auch gezeigt, daß die beiden Urteile über den Zweck und
die Tauglichkeit Voraussetzungen für ein Wertverhalten und nicht für
ein ästhetisches abgeben. Beim wertästhetischen Verhalten sind also
sowohl diese Urteile als diese Annahmen ausgeschlossen, und andere
kommen wohl nicht leicht in Betracht. Somit würden es die Vor-
stellungen sein, auf welche dieses Verhalten gegründet ist.
Eine ähnliche Betrachtungsweise wie für die gattungsmäßige Schön-
heit läßt sich hier nicht anwenden. Nicht jene Werkzeuge erklären
wir für die schönsten, welche wir am häufigsten zu sehen bekommen,
sondern jene, deren Form die Gebrauchstüchtigkeit am meisten »er-
sichtlich« macht, mag sie im übrigen noch so neu sein. Man muß
sich aber dabei vor Augen halten, daß eine ästhetische Reaktion doch
nur bei Gebrauchsgegenständen eintritt, deren Zweck uns genügend
geläufig ist. Ein ausdrücklich auf den Zweck gerichtetes Urteil wird
bei diesen nicht mehr auftreten müssen, der Gedanke an den Zweck
ist vielmehr mit der Vorstellung der Form des Gegenstandes assoziiert,
sei es daß dieser »Gedanke« selbst die Natur einer anschaulichen Vor-
stellung oder die einer unanschaulichen hat. Für solche Gegenstände
nun haben wir Gefühlsdispositionen, die aber nicht etwa bloß durch
Gewohnheit gewonnen sind, wie beim Gattungsmäßigen, sondern
durch das urteilsmäßige Erfassen der in Rede stehenden Beziehungen.
Aber dabei ist, wie schon erwähnt, festzuhalten, daß die Urteile nur
für Wertgefühle die Voraussetzung sind, und ein ästhetisches Verhalten
nur vorliegt, soweit diese Voraussetzung nicht gegeben ist. Den wert-
ästhetischen Charakter hat das Reagieren des Subjektes auf Zweck-
schönheit daher, daß neben den Werthaltungen eine Vorstellungs-
gefühlsdisposition begründet wird.
Die letzte Art von Wertschönheit, die sich der vorläufigen Betrach-
tung darbietet, scheint dadurch von anderen Fällen sich zu sondern,
daß nicht Formen, Gestalten, sondern Beziehungen ihren Gegenstand
') Meinong, Über Annahmen, S. 246 ff.