HILFSMITTEL FÜR VERSTÄNDNIS U. WIEDERGABE V. TONWERKEN. 255
tisch angewandt wurden, auch wenn sich die Vorschriften dafür nicht
in den Partituren fanden.
Dagegen steht fest, daß diese Effekte im Orchesterspiel erst ver-
hältnismäßig spät eingeführt worden sind.
J. Fr. Reichardt erzählt in seinen »Briefen eines aufmerksamen
Reisenden, die Musik betreffend«, daß, als Jomellix) das crescendo zum
erstenmal angewandt habe, sich die Zuhörer allmählich von ihren
Sitzen erhoben und beim diminuendo wieder Luft geschöpft und
gemerkt hätten, daß ihnen der Atem ausgegangen wäre. Diese Wirkung,
fügt er hinzu, habe er an sich selbst in Mannheim empfunden2).
Alles in allem finden sich in den Kompositionen bis zur zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts dynamische Vorschriften sehr spärlich. Selbst
Händel und Bach zeigen sich in dieser Hinsicht noch äußerst zurück-
haltend. Eine Wandlung trat erst ein, als die von Philipp Em. Bach,
Haydn und Mozart teils neu geschaffenen, teils umgebildeten klassischen
Instrumentalformen (Sonate, Quartett, Konzert, Sinfonie) zur Herrschaft
gelangten. — Das darin waltende Prinzip der Gegenüberstellung oder
des Wechsels verschiedener Themen im Sinne des Kontrastes machte
eine häufigere Bezeichnung des Stärkegrades unerläßlich. War z. B.
das erste Thema im forte aufgetreten, so pflegte für das zweite
schwächere Tongebung bestimmt zu werden, und umgekehrt.
Mit Beethoven gelangte die musikalische Dynamik zu erhöhter
Bedeutung. Nicht daß er neue Zeichen erfunden hätte, aber er bedient
sich der alten in umfassenderem Maße und zum Teil abweichend von
der Art und Weise, die bis dahin traditionell war. Seine Steigerungen
sind langatmiger; der Wechsel von forte und piano ist häufiger, oft
überraschend, indem Effekte plötzlich eintreten, die den erwarteten
entgegengesetzt sind 3).
Der Bestand an dynamischen Bezeichnungen ist auch von den
Nachfolgern Beethovens nicht eigentlich vermehrt worden. — Gemäß
dem Entwickelungsgange der modernen Musik, die mehr und mehr
die Fesseln der Form zu sprengen versucht und vom Melodiösen
zum Charakteristischen hinüberstrebt, muß der Komponist des IQ. Jahr-
hunderts sehr häufig neue Bestimmungen über die dynamischen Schat-
tierungen treffen, wenn er nicht in seinen Absichten mißverstanden
werden will. Es wird dies erforderlich schon durch die größere Mannig-
') Jomelli war 1753—69 Kapellmeister in Stuttgart.
2) Das Orchester in Mannheim stand damals unter Leitung des Kapellmeisters
Cannabich, der bei Jomelli studiert hatte. Hier lernte auch Mozart 1773, wie sein
Biograph O.Jahn berichtet, zuerst »einen fein schattierten Vortrag« kennen.
3) Hierauf weist Wagner in seiner Schrift: >Zum Vortrag der 9. Symphonie
Beethovens« ausdrücklich hin. (Ges. Schriften Bd. 9, S. 272.)
tisch angewandt wurden, auch wenn sich die Vorschriften dafür nicht
in den Partituren fanden.
Dagegen steht fest, daß diese Effekte im Orchesterspiel erst ver-
hältnismäßig spät eingeführt worden sind.
J. Fr. Reichardt erzählt in seinen »Briefen eines aufmerksamen
Reisenden, die Musik betreffend«, daß, als Jomellix) das crescendo zum
erstenmal angewandt habe, sich die Zuhörer allmählich von ihren
Sitzen erhoben und beim diminuendo wieder Luft geschöpft und
gemerkt hätten, daß ihnen der Atem ausgegangen wäre. Diese Wirkung,
fügt er hinzu, habe er an sich selbst in Mannheim empfunden2).
Alles in allem finden sich in den Kompositionen bis zur zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts dynamische Vorschriften sehr spärlich. Selbst
Händel und Bach zeigen sich in dieser Hinsicht noch äußerst zurück-
haltend. Eine Wandlung trat erst ein, als die von Philipp Em. Bach,
Haydn und Mozart teils neu geschaffenen, teils umgebildeten klassischen
Instrumentalformen (Sonate, Quartett, Konzert, Sinfonie) zur Herrschaft
gelangten. — Das darin waltende Prinzip der Gegenüberstellung oder
des Wechsels verschiedener Themen im Sinne des Kontrastes machte
eine häufigere Bezeichnung des Stärkegrades unerläßlich. War z. B.
das erste Thema im forte aufgetreten, so pflegte für das zweite
schwächere Tongebung bestimmt zu werden, und umgekehrt.
Mit Beethoven gelangte die musikalische Dynamik zu erhöhter
Bedeutung. Nicht daß er neue Zeichen erfunden hätte, aber er bedient
sich der alten in umfassenderem Maße und zum Teil abweichend von
der Art und Weise, die bis dahin traditionell war. Seine Steigerungen
sind langatmiger; der Wechsel von forte und piano ist häufiger, oft
überraschend, indem Effekte plötzlich eintreten, die den erwarteten
entgegengesetzt sind 3).
Der Bestand an dynamischen Bezeichnungen ist auch von den
Nachfolgern Beethovens nicht eigentlich vermehrt worden. — Gemäß
dem Entwickelungsgange der modernen Musik, die mehr und mehr
die Fesseln der Form zu sprengen versucht und vom Melodiösen
zum Charakteristischen hinüberstrebt, muß der Komponist des IQ. Jahr-
hunderts sehr häufig neue Bestimmungen über die dynamischen Schat-
tierungen treffen, wenn er nicht in seinen Absichten mißverstanden
werden will. Es wird dies erforderlich schon durch die größere Mannig-
') Jomelli war 1753—69 Kapellmeister in Stuttgart.
2) Das Orchester in Mannheim stand damals unter Leitung des Kapellmeisters
Cannabich, der bei Jomelli studiert hatte. Hier lernte auch Mozart 1773, wie sein
Biograph O.Jahn berichtet, zuerst »einen fein schattierten Vortrag« kennen.
3) Hierauf weist Wagner in seiner Schrift: >Zum Vortrag der 9. Symphonie
Beethovens« ausdrücklich hin. (Ges. Schriften Bd. 9, S. 272.)