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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0293

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BESPRECHUNGEN. 289

übliche Blumenbehandlung dargestellt wird, führt ebenso leicht wie sicher zu dem
Ergebnis, daß ein guter Geschmack die Blumen nicht vergewaltigen darf. — Eine
zweite Betrachtung ist der ^Erziehung des Farbensinnes- gewidmet; sie wird jetzt
zum dritten Male veröffentlicht. Das Farbengefühl der Deutschen, so meint Licht-
wark, muß zu größerer Feinheit und Selbständigkeit entwickelt werden: schon Rück-
sicht auf die Zukunft unserer Industrie zwingt uns dazu. Während die Mädchen
durch Handarbeiten und Toiletteninteressen von früh ab auf die Farbe hingewiesen
werden, kümmern sich die Knaben fast gar nicht darum, und die Männer schämen
sich, ihrer etwa vorhandenen Farbenfreude Ausdruck zu geben. Die Besserung
müsse damit beginnen, daß in den Zeichenunterricht das Malen mit Wasserfarben
eingeführt werde; alsdann sollten die Kinder auf die koloristischen Werte an Vögeln,
Insekten und Blumen hingewiesen werden. »Erst wenn am Tier, an der Blume
und an dem Material der naturhistorischen und ethnographischen Museen das Auge
erzogen ist, sollte es sich dem Studium der Farbe in den Galerien und den Ge-
werbemuseen hingeben. < (S. 39.) Die richtig ausgeübte dilettantische Betätigung
bildet schließlich den Höhepunkt der Selbsterziehung. — Im dritten Bändchen
(»Palastfenster und Flügeltür«) sind allerlei Aufsätze über Außen- und Innenarchi-
tektur gesammelt. Von dem reichen Inhalt erwähne ich wiederum nur das Grund-
sätzliche. Der Verfasser zeigt an überzeugenden, leider aus der Wirklichkeit stam-
menden Beispielen, welches Unheil der Götzendienst der Fassade anrichtet. Ein
guter Bau wird nicht der Fassade wegen, sondern aus seiner Zweckbestimmung
heraus gestaltet, daher kann er eigentlich nur unter Mitarbeit des Auftraggebers
vollkommen gelingen. Für die bürgerliche Architektur kommt es ferner wesentlich
auf die Farbe an. Das Interesse des Laien sollte geweckt werden an der Beob-
achtung der alten heimischen Kunst, und zwar genauer: des schlichten Bauern- und
Bürgerhauses seiner nächsten Heimat. Gestaltung und Beleuchtung des Innenraums
haben den Ausschlag zu geben. Demgemäß ist vom Fenster auszugehen. Licht-
wark befürwortet ein einziges breites Fenster mit hoher Fensterbank und ohne die
gerafften Stoffgardinen. Unsere Zimmer haben nicht genug Wandfläche und benutz-
bare Ecken; aus törichter Nachahmung von Prunkräumen opfern wir die Behaglich-
keit. In Bezug auf die Möbel sollten wir alle Vorurteile zu Gunsten eines der
historischen Stile preisgeben und die Anpassungs- und Bewegungsfähigkeit obenan
stellen.

Lichtwarks Vorträge und Aufsätze, im ganzen betrachtet, zeigen eine Einheit
der Methode. Der Leser wird vom Nächstliegenden zum Allgemeineren geführt, fast
mit derselben Kunst und Entschiedenheit wie bei Lessing, der das gleiche Verfahren
geübt hat. Lichtwark deckt auf, was andere Schriftsteller für sich behalten, näm-
lich den örtlichen und zeitlichen Anreiz seiner Erörterungen; nur bleibt er auch
gern dabei stehen. So wird denn gewissermaßen eine Gelegenheitswissenschaft
getrieben. Manchmal wünscht man eine breitere Führung, ein volleres Ausladen,
eine ernsthaftere Verknüpfung der Gedanken. Die spürbare Kühle und praktische
Richtung der Darstellung hat den Vorzug, daß sie dicht an die Sache heranbringt,
und zugleich den Nachteil, daß sie nicht so zündend wirkt wie man wohl hofft.
Hinter der gut gepflegten Sprache fehlt die Erregtheit. Immerhin müssen wir dank-
bar sein, daß ein so klarer Verstand, eine so körnige Sachlichkeit in Kunstfragen
mit Erfolg sich geltend gemacht hat.

Berlin. Max Dessoir.

Zeitschr. f. Ästhetik 11. lüg. Kunstwissenschaft. I 19
 
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