HILFSMITTEL FÜR VERSTÄNDNIS U. WIEDERGABE V. TONWERKEN. 407
weil Gefühl und Phantasie, sich selbst überlassen, halt- und schranken-
los wären. Das gleiche gilt aber auch für jede nachschaffende künst-
lerische Tätigkeit, ja es ist für den Vortragskünstler doppelt wichtig,
verstandesmäßig kombinieren und zusammenfassen zu können. — Nun
verlangt man zwar vom ausführenden Musiker, daß seine Wiedergabe
aus dem Gefühl heraus erfolge, und die Erregung des letzteren wird
auch in vielen Fällen unmittelbar durch die Musik bewirkt; um aber
sein Spiel mit künstlerischer Besonnenheit im Sinne des Urhebers ge-
stalten zu können, muß der Gefühlsgehalt des Werkes auch seinem
Verstände zum Bewußtsein kommen. Für diese Erkenntnis leisten ihm
aber die sprachlichen Ergänzungen der Notenschrift, als Symbole des
Begrifflichen, sehr wichtige Dienste. Weil Worte jedoch nur allge-
meine, niemals wirklich individuelle Begriffe ausdrückenJ), so bilden
sie auch keine Schranken, können sie die persönliche Freiheit des vor-
tragenden Künstlers niemals gefährden. Gerade das Unvermögen des
Wortes, Begriffe zu präzisieren, verleiht und sichert ihm seinen hohen
Wert als ein Mittel der Verständigung zwischen Schaffenden und
Nachschaffenden, als ein Glied, welches verbindet, ohne Zwang aus-
zuüben.
Was speziell der Komponist durch sein Werk mit Einschluß aller
ihm beigegebenen Erläuterungen aussagt, ist schließlich stets nur ein
persönliches Bekenntnis. Alle Forderungen, die er durch Worte stellt,
sind gewissermaßen elastisch und lassen dem Ausführenden genügen-
den Spielraum zur Betätigung seiner Eigenart. Die eigentlichen Er-
klärungen aber sind nur eine Kurzschrift dessen, was die Musik aus-
führlich darlegt. Durch Töne und Worte drückt der Komponist aus,
wie sich in seinem Innern die Beziehungen entwickelt haben, die sein
Ich mit Vorgängen der Außenwelt oder mit dem Gemütsleben anderer
Personen verknüpfen. Seinen Charakter, ja seine ganze Weltanschauung
vermag er so zu demonstrieren. Wie viel oder wie wenig aber der
andere davon aufzufassen vermag, wie weit er verstehend sich einpaßt
oder selbsttätig umbildet, steht dahin; denn wie E. v. Hartmann sagt:
»Seine subjektive Erscheinungswelt hat jeder für sich und trägt jeder
mit sich und in sich herum2).« Weil das menschliche Seelenleben
ein Kontinuum ist und einen zusammenhängenden Prozeß darstellt,
wird zum mindesten die Art der Einordnung jeder Vorstellung — wenn
') Fr. Jodl schreibt: »Im Sprechen und Denken des entwickelten Menschen gibt
es kein Wort, welches eine streng individuelle Vorstellung bezeichnete. An jedes
Wort heften sich mit psychischer Notwendigkeit Reproduktionen und Assoziationen
in größerer oder geringerer Zahl.« (Lehrbuch der Psychol. 2. Auflage 1903, Bd. 2
S. 269.)
2) »Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus« S. 15.
weil Gefühl und Phantasie, sich selbst überlassen, halt- und schranken-
los wären. Das gleiche gilt aber auch für jede nachschaffende künst-
lerische Tätigkeit, ja es ist für den Vortragskünstler doppelt wichtig,
verstandesmäßig kombinieren und zusammenfassen zu können. — Nun
verlangt man zwar vom ausführenden Musiker, daß seine Wiedergabe
aus dem Gefühl heraus erfolge, und die Erregung des letzteren wird
auch in vielen Fällen unmittelbar durch die Musik bewirkt; um aber
sein Spiel mit künstlerischer Besonnenheit im Sinne des Urhebers ge-
stalten zu können, muß der Gefühlsgehalt des Werkes auch seinem
Verstände zum Bewußtsein kommen. Für diese Erkenntnis leisten ihm
aber die sprachlichen Ergänzungen der Notenschrift, als Symbole des
Begrifflichen, sehr wichtige Dienste. Weil Worte jedoch nur allge-
meine, niemals wirklich individuelle Begriffe ausdrückenJ), so bilden
sie auch keine Schranken, können sie die persönliche Freiheit des vor-
tragenden Künstlers niemals gefährden. Gerade das Unvermögen des
Wortes, Begriffe zu präzisieren, verleiht und sichert ihm seinen hohen
Wert als ein Mittel der Verständigung zwischen Schaffenden und
Nachschaffenden, als ein Glied, welches verbindet, ohne Zwang aus-
zuüben.
Was speziell der Komponist durch sein Werk mit Einschluß aller
ihm beigegebenen Erläuterungen aussagt, ist schließlich stets nur ein
persönliches Bekenntnis. Alle Forderungen, die er durch Worte stellt,
sind gewissermaßen elastisch und lassen dem Ausführenden genügen-
den Spielraum zur Betätigung seiner Eigenart. Die eigentlichen Er-
klärungen aber sind nur eine Kurzschrift dessen, was die Musik aus-
führlich darlegt. Durch Töne und Worte drückt der Komponist aus,
wie sich in seinem Innern die Beziehungen entwickelt haben, die sein
Ich mit Vorgängen der Außenwelt oder mit dem Gemütsleben anderer
Personen verknüpfen. Seinen Charakter, ja seine ganze Weltanschauung
vermag er so zu demonstrieren. Wie viel oder wie wenig aber der
andere davon aufzufassen vermag, wie weit er verstehend sich einpaßt
oder selbsttätig umbildet, steht dahin; denn wie E. v. Hartmann sagt:
»Seine subjektive Erscheinungswelt hat jeder für sich und trägt jeder
mit sich und in sich herum2).« Weil das menschliche Seelenleben
ein Kontinuum ist und einen zusammenhängenden Prozeß darstellt,
wird zum mindesten die Art der Einordnung jeder Vorstellung — wenn
') Fr. Jodl schreibt: »Im Sprechen und Denken des entwickelten Menschen gibt
es kein Wort, welches eine streng individuelle Vorstellung bezeichnete. An jedes
Wort heften sich mit psychischer Notwendigkeit Reproduktionen und Assoziationen
in größerer oder geringerer Zahl.« (Lehrbuch der Psychol. 2. Auflage 1903, Bd. 2
S. 269.)
2) »Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus« S. 15.