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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Landmann-Kalischer, Edith: Über künstlerische Wahrheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0462

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458 EDITH LANDMANN-KALISCHER.

sie, zum mindesten ihrem Werte nach, doch so ausschließlich an der
begrifflichen Erkenntnis, daß er sie wiederum völlig in Abhängigkeit
von dieser brachte und über den oben skizzierten Standpunkt nicht
weit hinauskam. Auch Goethe gibt der Kunst einen wesentlich in-
tellektuellen Charakter, wenn er schön die Dinge nennt, welche der
Anschauung ihre (der Dinge!) Gesetze offenbaren, wenn er es zur
Aufgabe des Künstlers macht, durch Stilisierung und Idealisierung den
Sinn der Natur und ihre höchste Wahrheit zum Ausdruck zu bringen.

Mit der kritischen Philosophie, welche die objektive Natur des
Schönen leugnete und hervorhob, daß das Schöne ohne Begriff ge-
falle, war auch die Vermittlung einer wie immer gearteten Erkenntnis
durch die Kunst ausgeschlossen. Ein ästhetisches Urteil über die
Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes gründet sich nach Kant auf keinen
vorhandenen Begriff desselben und verschafft auch keinen. Aber gleich
nach Kant, in der romantischen und spekulativen Ästhetik, lebte der
alte Gedanke von der Vermittlung einer Wahrheit durch die Kunst mit
aller Energie wieder auf. Gerade in diesem Punkte knüpft die Hegeische
Ästhetik wieder an Baumgarten an. Sieht doch die ganze romantische
und spekulative Ästhetik in dem Schönen das Absolute in anschau-
licher Form, die Idee in begrenzter Erscheinung. Die Kunst soll die Be-
deutung der Wirklichkeit zeigen, sie soll einen Begriff veranschaulichen,
sie ist wiederum eine Vorbereitungsstufe zur wahren Erkenntnis (Hegel),
und die Ästhetik bildet den Eingang zur Philosophie, weil nur in ihr
erklärt werden kann, was philosophischer Geist ist (Schelling). Betont
die romantische Ästhetik noch die Eigentümlichkeit der »intellektuellen
Anschauung« und des »reinen Erkennens«, die Eigenart der Form
also, in welcher durch die Kunst Erkenntnisse vermittelt werden, so
kehren doch die Hegelianer wieder völlig zu der Auffassung der Kunst
als einer biblia pauperum zurück. Nur daß statt der platten Welt-
weisheit, welche die Kunst nach der Auffassung des 18. Jahrhunderts
lehrte, es nun die großen metaphysischen Wahrheiten der Hegeischen
Philosophie waren, welche durch die Kunst den Armen im Geiste ver-
mittelt werden sollten.

Den positiven und höchst fruchtbaren Kern der Baumgartenschen
Lehre hat erst Fiedler entwickelt. Fiedler wurde nicht müde zu wieder-
holen, daß der künstlerische Trieb ein Erkenntnistrieb, die künstlerische
Tätigkeit eine Operation des Erkennens, das künstlerische Resultat ein
Erkenntnisresultat sei. Aber, klarer als Baumgarten, sah er in der
anschaulichen Erkenntnis des Künstlers eine Erkenntnis sui generis,
eine selbständige und höchst bedeutsame Erkenntnis, die mit der be-
grifflichen in keinerlei Zusammenhange steht, deren Organ einzig die
Anschauung, deren Eroberung einzig die Tat der Künstler ist.
 
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