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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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Abert, Hermann: Die musikästhetischen Anschauungen der frühesten christlichen Kirche
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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0539

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MUSIKANSCHAUUNG DER FRÜHESTEN KIRCHE. 535

Sauls durch Davids Saitenspiel ein klassisches Beispiel für die wunder-
tätige Heilkraft der Tonkunst dar, das denn auch das ganze Mittelalter
hindurch immer wieder angeführt wird.

Der Glaube an die apotropäische Gewalt der Musik stammt aus
dem Neuplatonismus und seiner Dämonenlehre, in der die Musik als
magische Kunst eine wichtige Rolle gespielt hatte. Auch die christ-
liche Dämonologie befaßt sich ausführlich mit der Musik und ihren
Wirkungen. Weltliche und geistliche Tonkunst werden auch hier
scharf geschieden. Jene ist der Haupttummelpiatz der bösen Dämo-
nen, denen sie als willkommener Anknüpfungspunkt dient, um die
gläubigen Seelen in ihre Schlingen zu ziehenx). Dagegen stellt die
kirchliche Tonkunst das stärkste Bollwerk gegen alle diese Versuch-
ungen dar, denn nichts fürchten die bösen Geister und Satan selbst
so sehr wie die heiligen Gesänge2). Die Kirchenväter schwelgen
förmlich im Gedanken an den Schaden, den die höllischen Mächte
durch die christliche Tonkunst erleiden3).

Alle die bisher angeführten Anschauungen, denen die Autorität der
Kirchenväter im Verlaufe der Zeit dogmatische Geltung verschaffte,
bewegen sich trotz ihres Rigorismus doch stets auf rein musikalischem
Boden. Sie beschäftigen sich mit der Tonkunst als solcher, wenn sie
sie auch jederzeit den Zwecken der Kirche unterordnen. Daneben
aber findet sich eine zweite Gruppe ästhetischer Grundsätze, die einen
ausgesprochen metaphysischen Charakter trägt.

Diese Lehre begnügte sich nicht damit, die Musik und was mit
ihr zusammenhängt an sich zu untersuchen, sie berücksichtigte viel-
mehr die musikalischen Elemente nur insoweit, als sich geheimnisvolle
innere Beziehungen zur außermusikalischen Welt, sei es der sichtbaren
oder der unsichtbaren, daran anknüpfen ließen. Die Tendenz, die
Musik nur als Etappenstation auf dem Wege zum Göttlichen gelten
zu lassen, hatte sie mit der ethischen Richtung gemeinsam. Auch ihr
galt die Tonkunst, wie alles Menschenwerk, nur dann als daseinsbe-
rechtigt, wenn sie in den Dienst der christlichen Heilslehre gestellt
wurde. Aber sie sah von den äußeren Wirkungen der Musik auf
Moral und Religiosität überhaupt ab. Sie faßte alle Elemente der Ton-
kunst als etwas rein Indifferentes, Äußerliches auf, dessen wahres
Wesen sich erst auf symbolischem Wege entschleiert. Die Musik ge-
winnt für den Christen Bedeutung nicht durch das, was sie an sich
ist, sondern lediglich durch das, was sie ahnen läßt.

') Antioch. motiach. tiomil. 105 bei Migne 79, 1752.

2) Pseudo-Jtisün. Quaestt. et respons. bei Migne 6, 1353; Joh. Chrysost. Expos,
in ps. 145, 5.

3) Joh. Moschos Prat. spirit. 152 bei Migne 87, 3017.
 
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