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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 1.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.3529#0604

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600 BESPRECHUNGEN.

einer Form, einer Farbennuance, einer menschlichen Physiognomie nicht absolut
exakt angeben können, werden auch die feinsten Stilanalysen, die gegenwärtig keiner
so gut zu geben vermag wie Wölfflin, auch nur poetische Umschreibungen sein, die
nicht den Anspruch erheben können, ausschließlich nur für einen Künstler und für
ein Werk Geltung zu haben. So bleibt jede Methode, mit den Mitteln der Sprache
einem Kunstwerk beizukommen, ein Versuch. Jede Kunst, die bildende, die Dicht-
kunst und Musik, hat ihre Sprache, die sich verstandesmäßig nicht übersetzen läßt.
Dessoir führt Äußerungen und Vorschläge an, die dieser Kalamität — wir empfinden
diesen Mangel als solchen — nach Möglichkeit abhelfen wollen. Goethe sagt in
Bezug auf den Triumphzug des Mantegna, »daß man mit noch so viel gehäuften
Worten den Wert der (von ihm) flüchtig beschriebenen Blätter doch nicht ausdrücken
könnte«. Justi sagt von Winckelmann, daß seine Beschreibungen der antiken Statuen
nicht »gegenständliche Beschreibungen sind, wie die naturwissenschaftlichen, welche
der Sache mittels einer erschöpfenden Terminologie adäquat zu werden streben«,
sondern »Umsetzung in Impression, welche der Geist in einem Momente weihevoller
Betrachtung empfing, in eine Reihe von Bildern und Begriffen«. Das ist freilich ein
Weg, der seine größten Gefahren birgt und von der Kunstwissenschaft als Dilettan-
tismus abgelehnt wird und werden muß; denn er hat zu uferloser Phantasterei und
formlosem Wortschwall geführt; Ekstasen sind billig und wiegen leicht, aber diese
Auffassung birgt doch etwas Kostbares, was die kunstästhetische Methodik, auch in
ihrer jetzigen Verfeinerung, verloren hat, die »Impression«. Indem die Methode
alles abspürt und nachtastet, enthält sie uns gerade die Impression vor. Man könnte
vielleicht sogar behaupten, daß je bedingungsloser die Methode angewendet wird, die
Impression um so mehr verblaßt. Viele in der Gefolgschaft Wölfflins erschienene
Arbeiten leiden an dieser Überbewußtheit in der Anwendung von Kunstmitteln.
Was für komplizierte Kunstmittel werden da oft in die einfachste Darstellung hinein-
interpretiert! Vor solcher Gelehrsamkeit geht jede Naivität des Kunstgenusses zum
Teufel. Um mit dieser Methode gute Resultate zu erreichen, ist ein feiner künstle-
rischer Takt unerläßlich. Die Auffassung Winckelmanns teilt auch George Forster; die
Sätze, die Dessoir anführt, sind uns deshalb von besonderem Werte, weil Forster die
Unzulänglichkeit der umständlichen Beschreibung darin sieht, daß man »einer höchst
gespannten Aufmerksamkeit bedarf, um allmählich, wie man weiter hört und liest,
die Phantasie in Tätigkeit zu versetzen und ein Scheinbild formen zu lassen, welches
für den Sinn einiges Interesse hat«. Wenn wir uns fragen, fördert und vertieft die
Methode der Kunstmittel-, Formen- und Farbenanalysen die Anschauung, so kommen
wir jedenfalls nicht zu einer unbedingt bejahenden Antwort. Ihrem Wesen nach
sind sie eben auch »umständliche Beschreibung«, auch wo sie ein großes Raffinement
der Einfühlung voraussetzen. Dessoir stellt die These auf: Ein Gefühl für das
Wundersame des Gebildes entsteht erst durch des Dichters Wort. »Unsere großen
Kunsthistoriker werden aus Forschern zu Poeten dort, wo ihnen eine wirkliche
Übertragung aus dem Augenschein in die Sprache gelingt, wo sie aus der Schule
des Künstlers heraus sein Werk noch einmal schaffen und zwar in ihrem Elemente,
dem der Sprache.« Wenn nun Dessoir auch zugeben muß, daß noch genug der
Verschiedenheiten bleiben, so sei doch wenigstens der ,gleiche Geisteszustand' er-
reicht, aus dem dort ein Kunstwerk der Formen und Farben entstanden war und hier
ein Kunstwerk der Worte und Rhythmen nachgeschaffen werde. Ist aber nicht die
Annahme eines gleichen Geisteszustandes auch eine poetische Lizenz? Als klassisches
Beispiel einer solchen Übertragung einer Kunst in eine andere führt Dessoir Nietz-
sches Wortverdeutlichung von Bizets Carmen im »Fall Wagner« an. Ein noch
schöneres Beispiel, meines Erachtens das vollkommenste Beispiel von Übertragung aus
 
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