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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0292
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Besprechungen.

Erich Eckertz, Nietzsche als Künstler. C. H. Becksche Verlagsbuchhand-
lung, Oskar Beck, München. 1910.

Geistreiche Schriftsteller — und zu diesen gehört der Verfasser ohne Frage —
laufen infolge ihrer Geschicklichkeit, Analogien herauszufinden, bei nicht sehr
kritischer Geistesanlage immer Gefahr, in der Kunst- und Literaturgeschichte Zu-
sammenhänge, Einflüsse und Entwicklungen zu sehen, die in Wirklichkeit gar nicht
vorhanden sind. Zeigt sich eine Spur von Übereinstimmung und läßt es das chrono-
logische Verhältnis nur halbwegs zu, so wird eine Abhängigkeit der späteren von
der früheren Erscheinung angenommen; weisen einzelne Vertreter einer Zeit, eines
Landes oder eines sonstwie abgrenzbaren Gebietes gemeinsame Züge auf, so kon-
struiert man alsbald einen eigenartigen Typus des betreffenden Kreises, unbe-
kümmert darum, daß die nämlichen Züge anderen Repräsentanten des Gebietes
fehlen und außerhalb desselben sich tausendfach vorfinden. Je ausgebreiteter aber
die Kenntnisse und Anschauungen des Schriftstellers, um so größer wird für ihn
die Versuchung zu derartig willkürlichem Verfahren; denn um so häufiger bietet
sich ihm Gelegenheit, Anklänge zu entdecken, die sodann in Kausalverknüpfungen
umgewandelt werden.

Viele Ausführungen Eckertz', besonders im 1., 3. und 4. Kapitel zeigen, daß der
hier bezeichneten Gefahr tatsächlich auch der Verfasser nicht entgangen ist, und
auch bei ihm entspricht die Zahl der Mißgriffe dem Umfange seiner Belesenheit,
der Fülle seines kultur-, kunst- und literarhistorischen Wissens. Zur Charakteristik
der Methode und zur Beleuchtung ihrer Unexaktheit genügt jedoch ein einziges
Beispiel. Sicherlich war in Nietzsche ein gewisser Eifergeist lebendig und man
kann hiedurch sowohl an die zelotische Hitze des Predigers wie an den Belehrungs-
drang des Schulmeisters erinnert werden. Es läßt sich ferner nicht leugnen, daß
der sächsische Boden eine große Menge solcher eifriger Pfarrer und Magister her-
vorgebracht hat. Ist aber darum der Verfasser berechtigt, das ungeduldige Streben
Nietzsches nach Ausbreitung seiner Ideen einfach auf die sächsische Herkunft und
auf die vielen Prediger in der Ahnenreihe zurückzuführen? Darf man wirklich
glauben, daß die propagandistische Art dem Sachsentum im Blute liegt? Und stößt
die Meinung, durch den Beruf der Vorfahren könne die Geistesanlage eines
Menschen bestimmt worden sein, nicht auf den entschiedenen Widerspruch aller
jener Biologen, die als Anhänger Weismanns eine Vererbung erworbener Eigen-
schaften überhaupt nicht zulassen? So sehen die betreffenden Darlegungen des
Eckertzschen Buches ungemein gelehrt und gründlich aus und in Wahrheit sind
sie doch mehr ein geistreicher Scherz als eine ernste, wissenschaftliche Charakter-
erfassung. Nicht einmal das andere Stück dieser Hereditätsannahme, die Erklärung
der dekadenten Seiten in Nietzsches Wesen aus der zum Teile polnischen Ab-
stammung, ist völlig unanfechtbar, obschon eine solche Herleitung vielleicht vom
Standpunkte der Ethnologie ein wenig plausibler und minder waghalsig erscheint.

Zudem aber wird die Demonstration der Erbeigenschaften durch die Nach-
 
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