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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 6.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.3675#0307
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BESPRECHUNGEN. 301

rechnen, so glaube ich, daß es nicht lediglich der Modenarrheit oder Sammlerfexerei
zuzuschreiben ist, wenn trotz des wegwerfenden Urteils der Japaner ihre Holz-
schnitte bei uns durchaus nicht die Sympathien der unabhängig ästhetisch Fühlen-
den verloren haben. Es ist schon oft beschrieben worden, wie sehr die japanischen
Vereinfachungen in der Wiedergabe von Natureindrücken unseren eigenen Stil-
bestrebungen entgegengekommen sind, wie ihre materialgerechte Behandlung der
Holzplatte, der Ersatz der Modellierung durch farbige Flächen unseren Graphikern
neue Wege gewiesen hat, genug Gründe, um unser Urteil günstig zu beeinflussen!
Mir will aber auch scheinen, daß gerade die Holzschnitte am besten geeignet sind,
uns in das Verständnis der großen Kunst Japans einzuführen.

Schon in China, der Quelle japanischer Kunst und Lebensweisheit, waren seit
den ältesten Zeiten die Schreib- und Malkunst eng miteinander verbunden. Beiden
diente dasselbe Werkzeug, der Pinsel, beiden ist gemeinsam die größte Wert-
schätzung der schönen Linie. Wie keine Schriftart der Welt, bietet das chinesische
Ideogramm dem Schreibkünstler Gelegenheit, seinem Liniengefühle einen sozusagen
abstrakten Ausdruck zu geben. Japan erfand dazu seine wundervoll wellige, un-
endlich wandelbare Hiragana-Silbenschrift, die zusammen mit den wuchtigeren
chinesischen Wortbildern dem Auge geradezu musikalische Eindrücke vermitteln
kann. Dieser Rhythmenkultus der Schrift wurde auf die Malerei übertragen. Ihn,
der uns nur in viel schwächerem Maße eigen ist, nachempfinden zu lernen, gibt
es gar kein besseres Mittel, als das Studium der Holzschnitte. Zwar ist er auch
in den weichsten Tuschgemälden immanent vorhanden, jedoch hier nur dem Einge-
weihten deutlich fühlbar. Die schmalen energischen Umrisse des Holzschnittes ent-
hüllen ihn aber rein und nackt, viel weniger fein, doch um so deutlicher. Das macht
unseren gröberen Augen die Werke japanischer Graphik so wertvoll, sie wirken in
dieser Hinsicht geradezu erziehend.

Der oberflächliche Betrachter solcher Kunstwerke wird zunächst nur von dem
eminent feinen, in ihnen zutage tretenden Farbengefühle hingerissen. Denn dieses
liegt unserem ästhetischen Begriffsvermögen am nächsten. Der Mangel europäisch-
scharfer Charakterisierung stößt ihn anfangs ab, und nur allmählich beginnt er den
reinen Wohllaut der Linie zu fühlen, der uns erst die ganze Schönheit östlicher Kunst
offenbart. Niemand lehrt besser in ihr Wesen uns einzufühlen als Harunobu.
Zartestes rhythmisches Empfinden und feinsten Farbensinn vereinigt kein Holz-
schnittmeister so wie er, und das ist seine Größe. Markiger sind die Primitiven,
Hokusai zeichnet viel charakteristischer, Utamaros Farbenzauber ist vielleicht noch
raffinierter. Keiner ist aber so harmonisch, rückhaltlos genießbar, beruhigend, wie
Harunobu.

Daß nunmehr dieser liebenswerte Meister in Kurth einen Biographen gefunden
hat, ist freudig zu begrüßen. Allerdings lag es in der Natur der Sache, daß einst-
weilen nur ein Versuch gemacht werden konnte, unser spärliches heutiges Wissen
über Harunobu zusammenzufassen; für eine Monographie, die den historischen und
ästhetischen Lebensinhalt eines solchen Künstlers ausschöpft, ist es noch zu früh.
Das, was uns Kurth gibt, wirkt vielleicht gerade weil es noch kein abgeschlossenes
Wissen ist, auf den Freund japanischer Kunst äußerst anregend: überall werden
ihm die Lücken gezeigt, die ihm Gelegenheit zu eigenem Forschen geben, überall
aber auch Wegweiser, die ihn durch ein Labyrinth zu leiten versprechen.

Auf verhältnismäßig sicherem Boden bewegen wir uns noch auf den ersten
Seiten des Buches. Hier teilt Kurth uns in wenigen Worten das Wichtigste über
die Vorgänger Harunobus, vor allem die Toriimeister mit, und über die Entwicklung
des Holzschnittes vom einfachen Schwarzdrucke bis zur Anwendung von drei Färb-
 
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