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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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Deri, Max: Kunstpsychologische Untersuchungen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0070
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MAX DERI.

Architädur

muß sich damit dem Wesen des Schmuckes, des Dekorativen fügen,
das kein Sein, sondern einwirken ist: dekorativ wird und wirkt alles,
was sich einem Größeren unterordnet. Da nun individuelle Gefühls-
symbole laut und eindringlich sprechen, würde ein stark individuell
gestaltetes Ornament den Träger des Ornamentes überschreien, der
Wirkung nach nicht mehr dienstbar, sondern herrschend sein. Damit
würde die Trageform zum Rahmen: und aus dem Ornament würde
ein Bild (Blumengewinde oder Zweige als Stilleben)*).

Die Architektur schließlich ist in einigem Maße bei den Sinnes-
gefühlen der Farben, vielleicht, wenn es derartiges gibt, auch bei Raum-
Sinnesgefühlen, sehr schwach bei den Ding-
gefühlen, etwas mehr bei den Vorgangsgefüh-
len, am stärksten und wesentlichsten von allen
Augenkünsten bei den Allgemeingefühlen ver-
ankert. Außerdem sendet sie besonders starke
Wurzeln in die Allgemeingruppe der Körper-
gefühle. — Daß ihr somit im wesentlichen nur
zwei Elemente, die noch dazu zur gleichen
Allgemeingruppe gehören, zur Variation zur
Verfügung stehen, erklärt zur Genüge ihren so
stark konservativen Charakter, sowie das, im
Vergleiche zur Malerei und Plastik, Ärmliche
ihrer Geschichte. — Wegen der statischen Not-
wendigkeit einer geometrischen Grundlage aller
ihrer Hauptformen eignet sie sich außerdem
nicht für das Einarbeiten persönlicher Gefühlssymbole und wird
damit wohl bester Zeiger für die Allgemeingefühle einer Zeit, für den
Zeitstil, ermangelt aber fast ganz jenes individuellen Reichtums, der
durch eine bis ins einzelne gehende Differenzierung der Linien und
Formen, wie sie für persönliche Gefühlssymbole nötig ist, erreicht wird.
So erschöpft sich der Umkreis der Augenkünste, d. h. der über

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J) Ähnlich ist es beim Kunstgewerbe überhaupt. Für »Kunstgewerbe« »deko-
rative Kunst« zu sagen, ist eigentlich falsch. Denn da das Wesen des Dekorativen
ein Unterordnen unter ein Größeres ist, ein Dienen und dienendes Wirken, kann
jedes Kunstwerk, und wäre es das persönlich stärkste, in eine Umgebung ge-
bracht werden, in der es dekorativ wirkend wird. Die Umgebung muß nur noch
größer, noch eindrucksstärker sein (eine Farbe an einer Figur, die Figur in einem
Bilde, das Bild auf einem Altar, der Altar in einer Nische, die Nische in einer
Kapelle, die Kapelle in einer Kirche, die Kirche auf einem Platz, der Platz in einer
Landschaft ... wäre etwa eine solche progressive dekorative Reihe). — Zum Kunst-
gewerbe aber gehören alle für einen bestimmten Zweck hergestellten Gegenstände,
deren Formen über diesen Zweck hinaus mit der Absicht auf Gefühlsvermittlung
gesteigert oder geschmückt sind.
 
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