Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0150
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


146 BESPRECHUNGEN.

brauchen. Nun, das nebenbei. Jedenfalls muß man, auch ohne jede Einseitigkeit,
die ganz besonders eindringliche ästhetische Wirkung des Mobiliars anerkennen,
mit dem man stündlich umgeht und das man an seinem Körper fühlt.

Wir folgen nun einfach dem Buch, d. h. der Reihenfolge seiner Abbildungen
und damit der geschichtlichen Entwicklung. So ein ägyptischer Faltstuhl (und
ähnlich später ein römischer Klappsessel) balancierte auf seinen Knickbeinen
etwas unangenehm angestrengt, und man sieht ihm an, man müsse selber darauf
etwas balancieren. Ein assyrischer Sessel ist steif auch durch seine Höhe, die
Knie des Menschen, der auf ihm sitzt, sind also nicht schräg weggestreckt, leger
und ruhig, sondern bilden ungefähr einen rechten Winkel, sind aber auch nicht
krampfhaft und unbequem hochgezogen wie bei niedrigeren Sitzgelegenheiten oft.
Ein griechischer Klismos wirkt elegant, weil seine vier Füße mit der denkbar
geringsten Masse und dem kleinsten,,Kraftmaß funktionieren, gleichsam elastisch
federnd. Die griechischen Stuhlbeine, gebogen und so den Körper des Sitzenden
weich aufnehmend — nicht so harsch von unten her gleichsam stoßend wie ein
assyrischer mit seinen Senkrechten und rechten Winkeln; in dem Kriegerstaat am
Euphrat gab man auf Bequemlichkeit nicht so viel —, streben schwungvoll nach
oben, unten dünn und oben unter der Sitzfläche dicker werdend. Wie anders
plump, ein byzantinischer Thronsessel; gewichtig, ja schon mehr wuchtig
und klobig; bolzengrade sind die schweren Holzscheite, die die Ecken des Kasten-
gestells bilden, aufgestemmt und stehen oben über die Sitzfläche herüber, um
den Sitzenden primitiv festzuhalten und einzukeilen und zu verriegeln, daß er
nicht hinunterrutscht; als hielte er sich sonst nicht allein oder durch eine organisch
sich anschmiegende Form des Geräts, die hier eben fehlt; die Lehne nur als archi-
tektonischer Hintergrund gedacht, stark profiliert, nicht zum Anlehnen, und oben,
etwa in Höhe der Schulterblätter, nicht über dem Kopf, mit dreieckiger Giebel-
form abschneidend, also wenn man sich zurücklehnen wollte, ins Rückgrat stoßend.
Bolzengrade eben auch die sonach vorgeschriebene Haltung des Benutzers, mit
steifer Wirbelsäule; nicht gelöst zurückgebogen noch auch lässig vorgebeugt, wie
sonst vielleicht bei niedrigen Rücklehnen; auch letzteres gestattet man sich auf
solchem rechtwinkligen Dinge nicht, das außerdem noch überall im einzelnen
Quadratmuster zeigt. Ein norwegischer Armstuhl weist einen Handgriff auf
an den vorderen Pfosten des kastenförmigen Möbels: die Hand kann aufruhen,
und zwar etwas hochgenommen; die Rücklehne weicht etwas zurück. Also wieder
eine ganz bestimmte Haltung des Mannes darin: ein ruhiges, langes Sitzen, etwa
beim Mahl oder bei langer Beratung, respektheischend und gebietend aufgerichtet
wie ein Herrscher, ein Vorsitzender, oder achtungsvoll, angespannt aufpassend, wie
bei den übrigen Teilnehmern einer Ratsversammlung. Solcher Stuhl ist also nichts
für leichte Konversation, wo man sich lebhaft bewegt, elegant gestikuliert, auch mal
die Plätze wechselt, und wo ein Teil der Gesellschaft etwa zwischendurch steht.
Zwischen Rücklehne und Handgriff ist etwas Holz stehen geblieben, warm und
fest einpackend. Hier nimmt man auch nicht schnell Platz, sondern läßt sich lang-
sam nieder, man klettert sozusagen hinein, zumal wenn noch ein Fußtritt dran ist,
der die Füße dann auch festzuhalten scheint, wie er für ein ganz bequemes längeres
Sitzen bestimmt aussieht. Sehr unbequem dagegen ist ein frühmittelalterlicher
Lehnstuhl, wo an den seitlichen Rändern der Rücklehne dicke Stäbe vorspringen, wo
sich also der Rücken dazwischen hineinzwängen muß oder stößt, und wo überhaupt
die starre, harte Rückenlehne den Sinn für Bequemlichkeit recht unentwickelt er-
scheinen läßt. (Die schönste, ganz flächenhaft einladende Rücklehne zeigt in dem
Buch ein französischer Frühbarockstuhl, Stil Louis Treize. Andere, ebenfalls
 
Annotationen