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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 7.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.3592#0156
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152 BESPRECHUNGEN.

lüsten des Publikums. Ernsthaft und eingehend brauchte sich dann Kunstkritik und
Ästhetik nur mit diesen Kunst- und Künstlerbühnen zu beschäftigen.

Psychologisch-ethische Betrachtungen im Anschluß an die gegenwärtige Kunst-
entwicklung beschließen das Werk; besonders hervorzuheben wären hier die Aus-
führungen über das Schamgefühl und über den Selbstwert des Sittlichen; doch
würde eine nähere Erörterung uns über die Grenzen hinausführen, die im Rahmen
dieser Zeitschrift liegen. Aber abgesehen von diesem Schlußabschnitt habe ich es
mir angelegen sein lassen, den Inhalt dieses Werkes seinem vollen Werte ent-
sprechend ausführlicher darzulegen, um auch im Leser das Gefühl zu erwecken,
daß es sich hier um eine bedeutungsvolle Kundgebung handelt, durch die ein
Mann von reicher Erfahrung, weitem Wissen und künstlerischem Feinsinn mahnend
und warnend an seine Zeit sich wendet. Und wenn ich nun einige Bedenken
nicht unterdrücken kann, geschieht dies nicht aus der Absicht, Kritik zu üben, denn
in allen Hauptpunkten stimme ich freudigst bei und erkenne dankbar den sittlichen
Mut an, der diese Untersuchungen adelt; ich vermag aber das bange Gefühl nicht
zu bannen, daß Volkelt in weiten Kreisen mißverstanden weiden wird, indem eng-
herzige Rückschrittelei in ihrem erbärmlichen Kampfe gegen neue, werdende Kunst
hier ihre schärfsten Waffen sammeln wird. Vielleicht hat Volkelt die Gefahren und
Schädigungen moderner Kunst zu sehr schwarz in schwarz gemalt und der Kunst
zur Last geschrieben, was in anderen Tendenzen unserer Zeit begründet liegt?
Warum sollen denn die so glänzend gemalten Akte von Leo Putz etwa einen »un-
sauberen Qualm« verbreiten, während die Bilder von Rubens in allen Galerien an-
gestaunt werden? Wie sollen wir überhaupt im Einzelfall die Grenzen angeben
können, jenseits derer ein Kunstwerk aufhört »gesellschaftsfähig« zu sein? Wo
schlechte Kunst vorliegt oder Machwerke, die im Namen der Kunst unsittlichen
Zwecken dienen, scheint rücksichtslose Bekämpfung ganz am Platz, aber den Ge-
wagtheiten guter Kunst gegenüber bedarf es größter Vorsicht; allerdings vom Stand-
punkt des Erziehers erwachsen schwere Gefahren. Aber Erziehung ist jedenfalls
nicht Zweck aller Kunst, sondern in vielen Fällen Voraussetzung, da sie sich schon
an reife Leute wendet. Erfährt ferner nicht irgendein Leser im Laufe eines Jahres
aus der Zeitung so viel an geschlechtlichen Verirrungen und Ausschweifungen, daß
er durch die Kunst wahrlich nicht überrascht werden kann? Und bedeutet denn
nicht die rücksichtslose Offenheit auch gegenüber den dunklen und gefährlichen
Pfaden unseres Trieblebens einen gewaltigen Segen im Verhältnis zu der Prüderie,
die alles Sexuelle einfach negiert oder in verzerrter Weise darstellt? Und wenn
die moderne Kunst in der Bewältigung dieser neuen Stoffgebiete oft allzu stark
aufgetragen hat, ja wenn auch vielfach unreine Elemente sich eingeschlichen haben
der Weg scheint mir gesund. Und gerade Volkelt hat ja auf die sittlich kräftigenden
Wirkungen der modernen Kunst so trefflich aufmerksam gemacht, und so wird er
sicherlich auch gegen eine allzuenge Zensur energisch Stellung nehmen und sich
dagegen wehren, wenn sein Werk in dieser Weise ausgebeutet werden sollte. Aber
ich möchte diese Besprechung nicht abschließen, ohne noch einmal meiner Freude
über dieses Werk Ausdruck zu verleihen.

Nur weniger Worte bedarf es über die kleine Schrift von F. John. Ihr Vorzug
besteht darin, daß sie nirgends überspannte Forderungen erhebt oder mit radikalen
Vorschlägen aufwartet, sondern überall wo Verbesserungen vorgeschlagen werden,
werden auch gleich die Wege gewiesen, die zu ihrer Verwirklichung hinzuleiten
vermögen. Und es wäre nur zu wünschen, daß es möglichst viele Oberlehrer von
der Art geben sollte, wie F. John einer ist.

Rostock i. M. Emil Utitz.
 
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