184 KONRAD LANGE.
druck eines gewollten Inhalts ist, d. h. wenn sie fähig ist,
Illusion zu erzeugen.
Dazu kommt, daß die Bequemlichkeitstheorie einseitig auf die bil-
dende Kunst zugeschnitten ist. Oder will man etwa das Wesen der
Musik auch in der »Erleichterung des Hörprozesses« erkennen? d. h.
besteht das musikalisch Schöne auch darin, daß dem Zuhörer die Ge-
räusche der Natur in einer gewissen Ordnung vorgeführt werden? Man
braucht diese Frage nur zu stellen, um sie zu verneinen. Die Bedeu-
tung der Musik als Ausdruckskunst wäre völlig in Frage gestellt, die
Entwicklung dieser Kunst in den letzten Jahrzehnten- vollkommen un-
verständlich, wenn der Wert einer musikalischen Schöpfung nur in der
Klarheit und Übersichtlichkeit ihrer Gliederung bestände.
Man muß sich in der Tat wundern, daß solche Theorien, die in der
Musik längst zum alten Eisen geworfen sind, in der bildenden Kunst
noch immer ein beschauliches Dasein führen.
Diesen formalistischen Zwecktheorien stehen nun die inhaltlichen
gegenüber. An ihre Spitze möchte ich die Tendenztheorie stellen.
Nach ihr würde der Zweck der Kunst darin bestehen, die Menschen
in der Richtung des Inhalts zu beeinflussen, durch Erregung bestimmter
Inhaltsgefühle auf ihren Willen und Charakter einzuwirken. So reden
wir von einer religiösen oder ethischen Tendenz, einer sozialen oder
politischen, ja auch von einer erotischen Tendenz. Wer eine bestimmte
Weltanschauung hat, die er für die einzig richtige hält, wird natürlich
geneigt sein, auch den Zweck der Kunst in ihrer Verbreitung zu
erblicken. Er wird die Gefühle, die dieser Weltanschauung entsprechen,
weil sie für ihn die wichtigsten sind, als die »menschlich bedeutsam-
sten« bezeichnen und von der Kunst fordern, daß sie dieselben vorwie-
gend darstelle, wobei dann die Illusion, wenn sie überhaupt aner-
kannt wird, nur als Mittel zum Zweck, d. h. als etwas diesen Gefühlen
Untergeordnetes geduldet wird.
Die Tatsache, daß die Kunst von jeher in diesem Sinne benutzt
worden ist, läßt sich freilich nicht leugnen. Das beruht einfach darauf,
daß die meisten Menschen sie inhaltlich erleben. Nur sollte man sich
klar darüber sein, daß es bei vorwiegender Betonung der Tendenz, die
natürlich mehr oder weniger gut sein kann, überhaupt keinen ein-
heitlichen Zweck der Kunst gäbe, sondern so viel Zwecke, wie
es Weltanschauungen gibt. Ferner daß der Wert eines Kunstwerks
identisch wäre mit dem Wert der entsprechenden Weltanschauung.
Es leuchtet ohne weiteres ein, daß damit der Schwerpunkt der Frage
völlig vom ästhetischen Gebiete abgelenkt und in die uferlose Weite
des Allgemeinmenschlichen hinaus verlegt würde. Wer an einer solchen