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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0098

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BESPRECHUNGEN. Q3

auch eine ganz unnötige Belastung des Textes durch philosophische Kunstausdrücke
mit sich, die an den meisten Stellen überflüssig sind. Die Exaktheit des Ausdrucks
wird nicht durch eine Häufung schöner Termini erreicht. Troß' Definitionen sind
trotz seiner terminologischen Verschwendungssucht nicht immer sehr durchsichtig.
Einige unmögliche Satzkonstruktionen lassen erkennen, daß das Buch nicht in
Deutschland entstanden ist.

Das Problem wäre durch eine reine Beschreibung am besten zu lösen gewesen. Es
ist auch gar nicht so neu und unerhört wie der Verfasser meint, sondern von der
modernen Psychologie schon längst in Angriff genommen (Mach, Jaensch, Hof-
mann u. a.). Die Unkenntnis der Psychologie macht sich überhaupt störend be-
merkbar. Ein schwerer Darstellungsfehler war es, von einer Theorie über das
Sehen, statt, wie Hildebrand, vom Sehen selbst auszugehen. Unglücklich geradezu
ist der Einfall, an Otto Liebmanns Theorie des Sehens den herkömmlichen Irrtum
aufzudecken. Das Buch will überhaupt zuviel auf einmal geben. Das Problem des
Raumes hätte isoliert und der Zusammenhang mit Hildebrand klarer herausgearbeiet
werden müssen. Dafür hätte die Erkenntnistheorie und die Polemik gegen Lieb-
mann entbehrt werden können. Die Herausarbeitung der verschiedenen Räume ist
ein nicht geringes Verdienst. Troß beweist in ihrer Charakteristik Geist und Ge-
schicklichkeit, leider auch Unzuverlässigkeit, wie denn überhaupt sein Buch als das
Produkt eines geistreichen philosophischen Dilettanten erscheint. Man darf den
euklidischen Raum nicht mit dem Tastraum identisch setzen. In diesem gibt es ein
Oben und Unten, Rechts und Links, in jenem nicht. Gesichtsraum und Tastraum
fallen beide unter den Begriff des physiologischen Raumes').

Im letzten Abschnitt werden die Irrtümer Cohens über Hildebrand und Fiedler
berichtigt. Cohen nimmt (»Ästhetik des reinen Gefühls«) den Raum Hildebrands
im wissenschaftlichen Sinne als Raum der Geometrie, womit zur Kunst natürlich
nicht zu gelangen ist. — Gedanken Fiedlers kommen zu ihrem Recht, wenn die
Tatsache, daß die Gegenstände der bildenden Kunst Objekt ästhetischer Betrach-
tungen werden, für die Kunsterkenntnis als gänzlich gleichgültig erklärt wird. Das
Urteil über das Kunstwerk wird mit Fiedler für ein Verstandesurteil erklärt. Der
Ästhetik wird der Verfasser nicht gerecht. Er wird nicht gewahr, daß auch sie ein
erkenntnistheoretisches Problem hat. Sehr schön ist seine Definition der künstleri-
schen Individualität: »Es ist nicht persönliche Willkür, die einen Künstler von an-
deren unterscheidet, sondern eigengesetzliche Erfüllung eines und desselben
Gesetzes.«

Zum Schluß wird die herkömmliche kunsthistorische Methode einer Kritik
unterworfen, welche die Konsequenzen aus dem Fiedlerschen Begriff der Kunst
zieht. Die Kunstgeschichte muß, um überhaupt ihr Material begrenzen zu können,
von irgend einem Begriff der Kunst ausgehen. Man teilt die Kunst in Stilperioden
ein, macht aber den Stil, der ursprünglich ein Kriterium des Ortes und der Zeit ist,
nachträglich zum objektiven Kriterium der Kunst selbst. Der Stil ist aber kein
Kriterium des spezifisch künstlerischen Inhalts. Der Kunstgeschichte fehlt noch ein
objektives Prinzip, um entscheiden zu können, was künstlerischen Wert besitze,
was nicht. Man kann die Kenntnis der Kriterien zur Datierung eines Kunstwerks
besitzen, ohne von seinem künstlerischen Inhalt eine Ahnung zu haben. Nach
Abzug aller lokalen, zeitlichen und kulturellen Einflüsse bleibt ein Residuum — der
künstlerische Inhalt. Mit ihm hat sich die exakte Kunslforschung zu beschäftigen.

') Ernst Mach, Erkenntnis und Irrtum. Leipzig 1905, S. 334. Hier auch eine
Schilderung des Gesichtsraumes, S. 331 ff.
 
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