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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0105

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100 BESPRECHUNGEN.

beiden ersten vorliegen. Das erste Buch behandelt die deutschen Dichter vor
Schiller und Schiller selbst, das zweite Goethe. Die Lieder werden einzeln ana-
lysiert, musikalisch oder durch die Auffassung der Dichtung bedeutsame Stellen
durch Notenbeispiele hervorgehoben, spätere Kompositionen der gleichen Texte hin-
sichtlich der Behandlung des Textes zum Vergleiche herangezogen.

Ein Urteil über die allgemeinen Gesichtspunkte des Werkes zu fällen, wäre vor
Einsichtnahme in den zweiten Band, dessen Schlußteil eine Übersicht der Schubert-
schen Lieder nach textlichen Gesichtspunkten sowie eine Darstellung der Text-
behandlung und Textgliederung bilden soll, verfrüht. Der gegenwärtig erschienene
erste Band bietet nichts, was die allgemeine Kunstwissenschaft näher zu beschäf-
tigen hätte, ist aber eine fleißige und darum nützliche Ergänzung der musikalischen
Forschungen zur Geschichte der Lieder im neunzehnten Jahrhundert.

Wien.

Egon Wellesz.

August Halm, Von zwei Kulturen der Musik. München, Georg Müller, 1913.
XXXII u. 253 S.
Der Wert und die Eigenart dieses Buches liegt weniger in dem, was es an
musiktheoretischen und ästhetischen Einsichten zutage fördert, als in der per-
sönlichen, temperamentvollen Art, mit der hier ein Künstler (Komponist und Päd-
agoge) sich über die Kunst des Komponierens Rechenschaft abzulegen sucht. Wert-
voll erscheinen mir diese Untersuchungen deshalb, weil der, der sie stellt, offenbar
ein geborener und mit dem Handwerk gut vertrauter Künstler ist, der infolgedessen
in wichtigen Punkten tiefer zu hören vermag, als die Musikschriftsteller, deren Stärke
die begriffliche Analyse ist. Halm geht — ganz im Gegensatz zur heute herrschen-
den hermeneutischen Musikschriftstellerei — ausschließlich auf die Erörterung von
Formproblemen aus, und er geht dabei (wie gesagt) in recht eigener, bisweilen
freilich eigenwilliger Art vor.

Aus dem Titel des Buches kann man schon erkennen, daß der Verfasser mehr
als formale Einzel Untersuchungen geben will. Er will darüber hinaus der Entwick-
lungslinie unserer Musik seit Bach eine Deutung geben. Nach Halm wird diese
Entwicklung anfangs beherrscht vom Prinzip des »Stils«, das durch Bach seine
vollendete Ausprägung erlangte. Darauf wurde das Prinzip der »Form« herrschend,
und durch Beethoven zur höchsten Geltung gebracht. Aufgabe kommender Meister
sei es, beide Prinzipe in ihrem Schäften gleicherweise wirksam werden zu lassen.
Als einen solchen Vollender sieht Halm in bedingtem Maße Anton Brückner in
seinen symphonischen Werken an. Unter »Stil« versteht Halm die Formung im
kleinen etwa bis zum Thema hinauf, unter »Form« den Aufbau ganzer Sätze aus
Themen und Kontrastteilen.

In diesem entwicklungsgeschichtlichen Entwurf sind wohl einige Punkte zu-
treffend beobachtet, weit mehr jedoch entsprechen nicht den Tatsachen. Zunächst ©
sind »Stil« und »Form« im Sinne Halms gar keine Gegensätze (wie der Verfasserp»
auch selbst einmal zugibt). Solange es ein meisterliches Musikschaffen gibt, ist der 2
schaffende Meister immer zugleich auf die Berücksichtigung der Formung im Großen 3
wie im Kleinen bedacht gewesen. Es mag sein, daß, wie z.B. oft in der Fuge, m
die Sorgfalt für das Detail größer ist, als die Sorge um den Gesamtaufbau. Daß
es bei einer meisterlichen Sonate umgekehrt sei (wie Halm meint), möchte ich
schon bestreiten. In solchen Einzelfeststellungen aber eine Richtlinie für ganze
Epochen der Musikkulturen zu erblicken, geht nicht an. Halm bedenkt z. B. nicht,
daß in der Blütezeit der Fuge auch die große Arie und das Rondo in höchster
 
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