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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Rodenwaldt, Gerhart: Zur begrifflichen und geschichtlichen Bedeutung des Klassischen in der bildenden Kunst: Eine kunstgeschichtsphilosophische Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0119

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114 GERHART RODENWALDT.

wenden den Ausdruck an zur Bezeichnung dessen, daß die Kunst
dieser beiden Perioden und zwar das, worin sie in beiden überein-
stimmend sich äußert, eine schlechthin vollkommene, absolut und
objektiv die denkbar beste ist. Unter dieser Überzeugung formt sich
die Vorstellung von der ewig gleichmäßigen Veränderung der Kunst
zu dem Bilde des Hinaufsteigens zu jenen beiden Höhen und des
Herabsinkens in die Tiefe. Diese Auffassung, die sich der allge-
meinen Kulturgeschichte anpaßt, ist die herrschende im allgemeinen
Bewußtsein und war die herrschende in allen Darstellungen der Kunst-
geschichte.

Dagegen wandte sich eine mehr analysierende als kritische For-
schung. Sie wurde zur Vertreterin der Rechte jener Zeiten künstleri-
scher Produktion, die das herrschende Urteil nicht als vollkommen
anerkannte, und suchte ihren Wert zu heben, indem sie skeptisch jede
Berechtigung eines Werturteils verneinte. Der Kampf für den einzelnen
führte zur Resignation im allgemeinen. Sie bestritt das Recht, eine
Kunst als die objektiv beste zu bezeichnen, und erkannte nur eine
relative Bewertung an, nach der jede Kunst einer Zeit eben die für
diese beste sei. Darnach gäbe es kein Auf- und Absteigen in der Ent-
wicklung der Kunst, sondern nur eine gleichmäßige Veränderung, kein
Besserwerden, sondern nur ein Anderswerden. Diese wissenschaft-
liche Anschauung kam einer ähnlich gearteten Stimmung theoretisch
veranlagter moderner Künstler entgegen, die aus der skeptischen Re-
signation des Werturteils das Recht ableitete, in ihrem Schaffen an die
Kunst von Zeiten und Völkern anzuknüpfen, die nach der herrschen-
den Meinung primitiv, nach ihrer Ansicht jedoch einfach anders ist.

Diese rein registrierende und analysierende Methode hat den Vor-
zug jeglicher Vorsicht im Urteil, weniger angreifbar zu sein; trotzdem
wird eine kritische Geschichtswissenschaft nie ganz auf ein Werturteil
verzichten können. Gibt es nun die Möglichkeit, einen bestimmt
definierbaren Maßstab zur Beurteilung der nicht nur relativen, son-
dern auch absoluten Vollkommenheit einer Kunst zu finden?

Voraussetzung dafür ist, objektive Merkmale des Kunstwerks zu
finden, die der Beurteilung und Vergleichung zugänglich sind. Da die
Frage ganz allgemein gestellt wird, ist es notwendig, Merkmale so
allgemeiner Art zu nehmen, daß sie für jede Art bildender Kunst und,
wenn möglich, auch der anderen -Künste zutreffen. Aus dieser All-
gemeinheit ergibt sich die Folge, daß auch die Schlüsse nur allgemeiner
Natur sein können. Die Merkmale selbst müssen objektiver Art sein,
und darum müssen Begriffe psychologischer Ästhetik, die sich mit dem
Wirken des Kunstwerkes befassen, ferngehalten werden.

Zwei Eigenschaften machen das Wesen des Kunstwerkes aus; die
 
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