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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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BESPRECHUNGEN. 207

Ansicht nach pedantisch eng gefaßt ist — im Auge hat und ihn nun als Maßstab
aif alle Kunst anwendet. Ohne das ernste Bemühen, jede Kunst aus ihren eigenen
Bedingungen heraus zu verstehen, kann man keine vergleichende Kunstwissenschaft
treiben. Wie philiströs ist etwa folgender Satz: »Die französische Kunst des 19. Jahr-
hunderts geht uns im Grunde gar nichts an; denn sie ist in ihrer typischsten Form
Ausdruck einer rein lokal verarbeiteten Zeitidee, kann also nicht ewiges Vorbild
"'eiben.« Da im 19. Jahrhundert fraglos eine Reihe ernster deutscher Künstler mit
der französischen Kunst sich auseinandersetzten, so geht sie uns schon deswegen
an, und dies leugnen zu wollen, ist einfach naiv. Daß sie »ewiges Vorbild bleiben«
Kann, das verlangt und wünscht niemand; und sollte dies jemand tun, so wäre es
selbstverständlich lächerlich. Unser Verfasser hält jede künstlerische Auseinander-
setzung mit einer fremden Kultur für ein sich »in die Schule begeben«. So primitiv
darf man die Italienfahrten eines Dürer, Goethe oder Hans von Marees nicht auf-
fassen. Wenn man von »Schule« und Schülern spricht, dann übersieht man völlig
die welthistorischen Kulturprobleme, die hier in Frage stehen. Der Verfasser
schraubt das große Geschehen der Kunst so herunter, daß manchmal nur nichts-
sagende Banalitäten übrig bleiben, wie etwa folgender Satz: »Im Realistisch-Modernen
schöpferisch sein, wie die Besten der Neueren es waren, ist verhältnismäßig leicht,
es im Idealistisch-Klassischen noch bleiben ist das Schwierige und das Zeichen der
Großen.« Wenn man unter »realistisch-modern« eine niedere, leichtere Kunstart
versteht, dann ist die Behauptung selbstverständlich. Aber nicht selbstverständlich
lst, ob »modern« und »realistisch« das gleiche bedeuten, ferner was eigentlich der
Sinn dieser Begriffe ist. Ein Leibl, Hans von Marees, Thoma oder Böcklin sind
doch auch »modern«. Wenn der Verfasser das nicht gelten lassen will, so muß er
eben seine Begriffe klar umschreiben. Ich weiß: im Herzen meint er immer Lieber-
tr|ann. Ich will die Frage »Liebermann« gar nicht anschneiden, aber jedenfalls wird
sie durch haltlose Verallgemeinerungen nicht gelöst, selbst wenn die individuelle
Voraussetzung richtig wäre. Sie leiten nur zu folgendem Ergebnis: »eine tiefe Er-
krankung des Willens und somit der moralischen Widerstandsfähigkeit ist die Folge
des spezifisch modernen Geistes, der die höheren Schichten in einem intellektuellen,
die breiteren der Bevölkerung im plumpesten Materialismus gefangen hält.« Hier
spricht der Verfasser nicht etwa von den Engländern, sondern von uns Deutschen.

So muß ich denn mit einein Gefühl schmerzlichen Bedauerns dieses Buch aus
der Hand legen: wir können nicht fruchtbare Kunstpolitik treiben, wenn uns jede
Besonnenheit im Eifer des Gefechts verläßt und wir uns schließlich zu ungeheuer-
Ilchen Anklagen versteigen. Damit wird nur gehässige Feindschaft gesät. Wir
tr|üssen uns unbedingt daran gewöhnen, aktuelle Kunstfragen ruhig zu behandeln,
sonst nähren wir lediglich unfruchtbaren Atelierklatsch und verrennen uns in einen
Radikalismus, der uns mit Blindheit schlägt. Und mit dieser Ruhe wollen wir dann das
ernste Problem behandeln, das tatsächlich hinter der Aufgeregtheit des vorliegenden
Ruches steht: die Neuorientierung des Kunstlebens nach dem Kriege. Sicherlich haben
w<r uns vorher allzusehr um fremde Kunst gekümmert. Unser Fehler bestand nicht
darin, daß wir fremde Meister sorgfältigst beachteten, das werden wir immer tun
müssen, sondern wir pflegten auch fremde Kunst dritten und vierten Ranges, und das
War unnötig und damit schädigten wir unsere eigene werdende Kunst, und wir schä-
d'gten unser Ansehen im Ausland. Wenn wir nun da umlernen wollen, so können
*«" es nicht auf die Weise, daß wir untereinander einen erbitterten Federkrieg er-
0I'nen und mit Vorwürfen uns überschütten, was jeder hätte anders machen müssen,
sondern es gilt positive Arbeit zu leisten: wie sollen wir es in der Zukunft halten!

Rostock- Emil Utitz.
 
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