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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Bathe, Johannes: Leben und Bühne in der dramatischen Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0292

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LEBEN UND BÜHNE IN DER DRAMATISCHEN DICHTUNG. 287

das, was man im engeren Sinne unter dem Drama versteht. Der Ge-
schmack und das Urteil aller Zeiten, soweit wenigstens nicht, wie zu
Eingang der römischen Kaiserzeit, der Tiefstand der Kunst und des
künstlerischen Geschmacks eine Ausnahme begründeten, haben nur
solche Werke als Schöpfungen großer Kunst angesehen, bei denen
sich ein in der Sprache niedergelegter tiefer Gehalt mit Bühnen-
darstellbarkeit vereinte. Tatsächlich ist aber auch der psychologisch-
ästhetische Zusammenhang zwischen Wort und Mimik so enge, daß
ihre Verbindung im Drama als nur natürlich erscheint.

Wenn das Drama seinem Wesen nach sich entgegenstehende
Charaktere darstellen soll, und zwar in einer Handlung, in der dieser
Gegensatz zu Entschlüssen und Taten fortschreitet, so muß das Wesen
des Dramatischen in erster Linie durch die Sprache zum Ausdruck
kommen. Und zwar ist es ein Doppeltes, das die Sprache hier zu
'eisten hat. Einmal ist sie das wirksamste Mittel zur Darstellung von
Entschlüssen und daher das eigentliche dramatische Kunstmittel. Auch
das Handeln selbst kann in Worten liegen. Im übrigen kann die Tat
selbst immer nur das Ergebnis oder der Abschluß einer zu Ent-
schlüssen und über sie hinaus führenden seelischen Entwicklung sein,
die ihrerseits nur in der Sprache psychologisch einleuchtend darge-
stellt werden kann x), oder falls sie im Einzelfalle unvermittelt auftritt,
so bedarf sie doch wenigstens einer nachträglichen Motivierung in
Worten. Überhaupt ist ja das Geschehnis, so wichtig es im Drama
sein mag, nicht um seiner selbst willen bedeutsam. »Es dient nicht
iiehr etwa der Neugier eines sensationslustigen Publikums, das mög-
lichst viel Greifbares vor sich gehen sehen will, sondern es ist ein-
geführt um des Affektwechsels willen, den es begründet, und soweit
es das tut«2).

Es gibt zwar neben der Handlung und dem Worte noch die Geste.
Aber soweit diese nicht ausführende, zweckvolle Bewegung, also eben
Handlung selbst ist, ist sie als Gebärde wohl in gleicher Weise wie
das Wort, aber in weit geringerem Grade wirksam als diese. »Keine
ändere Technik«, sagt mit Recht Dessoir, »hält die Spannung auf den
Ausgang so wach wie die des erregten Gesprächs; die ganze ur-
sprüngliche Freude an dem, was geschieht, wird durch die rhetorisch-
dramatische Unterredung in den Kreis der Wortkunst versetzt«8).

1) Das ist neuerdings bei der Auswahl und Bearbeitung dramatischer Werke
zur Aufführung im Kinotheater vielfach nicht genügend beachtet worden. Noch viel
greller tritt dieser Fehler natürlich oft hervor, wo es sich um Verarbeitung von
ePischen Werken zu Kinozwecken handelt, wie z. B. bei O. Hauptmanns »Atlantis«.

2) W. Conrad, Bühnenkunst und Drama, Zeitschrift für Ästhetik, VI, S. 364.

3) Ästhetik, S. 373.
 
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