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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Meyer, Karl A.: Der Typus des Künstlers in der Dichtung Thomas Manns
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0314

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DER TYPUS DES KÜNSTLERS IN DER DICHTUNG THOMAS MANNS. 30g

borenen Epiker wird sein eigenes Selbst zum Objekt dichterischen
Qestaltens, dem er mit freier Geisteshaltung gegenübertritt. Sein eigenes
Bild ist es, das uns aus seiner Dichtung entgegen blickt, verschieden
nach Maske, Entwicklungsstufe und Oeistesstimmung, doch einheitlich
in der Grundauffassung. Aber das Besondere ist: in ihm ist sich der
Künstler selbst, der Künstler im Gegensatz zum Menschen, zum
beunruhigenden Rätsel geworden, das ihn immer von neuem mit
niagischer Gewalt anzieht1, das er gestaltend umwirbt, dessen Höhen
und Abgründe er durchmißt, vor keiner, selbst vernichtenden Kon-
sequenz zurückschreckend. Künstlerisches Schaffen ist ihm Ringen
Um Selbsterkenntnis, Objektivierung seiner zweigespaltenen Wesen-
heit. Einer seiner Novellensammlungen setzt er das Wort Ibsens
vor: »Dichten, das ist Gerichtstag über sich selbst halten.« In der
Tat, der Dichter wird zum Richter. Immer deutlicher wandelt sich
ihm der Künstler und die Kunst zu einem moralischen Problem, und
wir erleben das Schauspiel, daß der Dichter vor dem Richterstuhle
des eigenen Ich als Ankläger und Verteidiger des Künstlers auftritt,
als jenes rätselhaften, unter- oder übermenschlichen Wesens, welches
das Leben darstellt, ohne am Leben teilzuhaben. Denn indem er
das Leben darstellt, wird es ihm zum Objekt, faßt er es aber unter
einem Wesenszwange stehend als Objekt, sich selber eingeschlossen,
so zerschneidet er das Band des unmittelbaren Lebensgefühles, das
den Menschen mit dem Leben verknüpft. Diese eigentümliche
Tragik des Künstlers ist eigentlich Ursprung und Gegenstand der
Dichtung Thomas Manns. Ihr Thema ist der Künstler, der mit sich
selber zerfällt, leidet und zu einer höheren, versöhnenden Lebensform
aufsteigt. Wie er typische Merkmale einer auflösenden, suchenden, um
neue Werte und Formen ringenden Zeit in höchst persönlicher Prägung
und Zuspitzung als Mensch in sich darstellt, so ist er auch als
Künstler nach innerer Ausarbeitung und stilistischer Haltung ein Ein-
ziger, Unverkennbarer unter den Hunderten der Gegenwart, ein Kenner
Und Erkenner der Seele, ein meisterhafter Gestalter des Lebens, ein
Bildner in dem Marmor der Sprache, ein strenger, zuchtvoller Arbeiter,
voll hohen Ungenügens bis zur Genialität. So gestaltet er in seinem
Werk ein nach psychologischem Gehalt wie nach künstlerischer Form
gleich vollendetes Abbild seiner Entwicklung. Es gilt also den in
'hm sich darstellenden künstlerischen Typus aus seinen individuell
mannigfach abgewandelten Erscheinungsformen herauszuschälen und
Psychologisch zu analysieren.

Es ist eine lange Reihe von Gestalten, die sich vom »Bajazzo« bis
zu Gustav Aschenbach (»Tod in Venedig«) hinziehen. Ich unterscheide
unter dem hier durchgeführten Gesichtspunkt, der vom literarischen
 
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