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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Meyer, Karl A.: Der Typus des Künstlers in der Dichtung Thomas Manns
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0334

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DER TYPUS DES KÜNSTLERS IN DER DICHTUNG THOMAS MANNS. 329

Künstlers, die befreiende Synthese, problematisch wieder auf. Allein
das ist nicht das letzte Wort des Dichters. Mir scheint, er will
sagen, daß die Synthese sich deshalb als nicht tragfähig erweist, weil
sie unter der ausschließlichen Herrschaft der Form steht. Oder noch
genauer: die Form, die ihren Sinn nur behaupten kann als Begrenzung
des Unendlichen, führt, wenn sie überspannt wird, wieder zum Chaos.
Höchste Moral wird wieder zur Unmoral. Form und Chaos sind
Gegensätze, aber es gibt einen Punkt, wo sie sich berühren. In diesen
Strudel gerät Aschenbach der Künstler, der zum Frevler an sich selbst
wurde, weil er die heiligen Rechte der Natur mißachtete. Es ist im
Grunde das Problem der Kunst überhaupt, das im »Tod in Venedig«
aufgerollt wird.

Thomas Mann gehört zu denen, die ein tiefes Geheimnis unserer
Zeit erkannt und offenbar gemacht haben. Der »Tod in Venedig«
'st vor dem Kriege entstanden. Das Heldentum des heutigen Men-
schen, wie es sich in diesem Kriege offenbart, hat tiefe Verwandt-
schaft mit dem Heldentume des Künstlers. Hat es seine Wurzeln
doch weniger in naturgegebener Kraft als in der Stärke sittlichen
Wolfens. Vielleicht errichtet uns der Dichter in seinem Friedrich-
Roman das Denkmal unseres neuen, des bis zum siegreichen Ende
durchhaltenden Heldentums, wie es sich uns Heutigen so sichtbar
und erlebbar wie nie zuvor verkörpert in der Gestalt des größten
Preußischen Helden. Niemals haben wir den Geist Friedrichs des
Großen so nahe verspürt wie heute. Niemand aber ist berufener
'hm Gestalt und Gehalt zu geben aus dem Geiste unserer Zeit als
der Dichter des Gustav Aschenbach. Möchte er uns in dem Bilde
des Künstlers und Philosophen auf dem Throne, des zuchtvollen
Helden und Moralisten der Leistung, des Tat- und Geistesmenschen,
die Apotheose des »blutigen Trotzdem«, des sittlichen Heroismus
geben, der zäh und elastisch auch aus tiefstem Ruin sich immer
wieder erhebt, aus Schwäche zur Größe schreitet und unbeugsam
durchhält bis zum bitteren Ende.
 
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