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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0344

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BESPRECHUNGEN. 33g

gelangen, was für irgend jemand in irgend einer Lage Pflicht ist«. Nelson erwartet
also offenbar Einzelvorschriften, d. h. die autonome Überzeugung, die den Inhalt
zum Pflichtbegriff der autonomen Vernunft gibt, ist für ihn nicht vorhanden, ja,
noch mehr: er will diesen Pflichtbegriff (und das kehrt implicite immer wieder) von
dem abhängig machen, was für »andere« Pflicht ist, denn wäre dies gegeben, so
fiele ja der Einwand mit dem Zirkel weg. Diese rein logizistische Orientierung
am Zirkel zeigt sich auch in der Argumentation (S. 18): »der gute Wille (ist) als
ein solcher definiert, der das Gesetz achtet; es kann also ohne einen logischen
Zirkel dies (!) Gesetz nicht als ein solches erklärt werden, das gebietet den guten
Willen zu achten». Vermittelst dieser Überlegung, der wieder die Idee einer Einzel-
vorschrift zugrunde liegt, wird also der Gedanke für unhaltbar erklärt, daß die
Achtung vor dem absoluten Pflichtgesetz den Willen selbst zum achtenswerten
macht.

Der Begriff des Pflichtgemäßen wandelt sich für Nelson auch immer in den
des Erlaubten. Dementsprechend ist für ihn auch der fundamentale Unterschied
von Legalität und Moralität bei Kant hinfällig (S. 129: »Wir fanden . . ., daß die
Unterscheidung von Moralität und Legalität bei Kant auf einer bloßen Wortdefi-
nition beruht . . .«), dementsprechend wandelt er die grundlegende und auf der
bloßen Eorm des Vernunftgesetzes schon beruhende Würde der Person, als Subjekt
von Pflichten und Ausdruck der Autonomie vielmehr um in eine Würde, die durch
»Interessen« begründet wird, die zu respektieren sind (S. 17: »Autonomie ... als
Würde oder als Eigenschaft durch seine Interessen den Willen jedes vernünftigen
Wesens einzuschränken« . . .). Eine seltsame Begründung der Würde, — wenn
auch die Interessen späterhin als »wahre« Interessen einigermaßen in eine würdige
Sphäre gerettet werden. Nelson findet also, daß die moralische Person als Selbst-
zweck nicht schon würdig sei; dies begründen erst die Zwecke einer Person. Die
Klage darüber, daß Kant die Bedeutung der durch den Menschen verkörperten
Interessen übersehen habe, die höchlichst zu respektieren sind und das Prinzip der
Gleichheit begründen (im empirischen Sinne, nicht in der Idee, als sittliche Wesen,
da Nelson ganz im empirisch-psychologischen Bannkreis steht), kehrt auch in der
Form wieder, daß der Begriff der interesselosen Anschauung in der Ästhetik be-
kämpft wird.

Nelson bestreitet also, daß das Pflichtgemäße nur formal, nicht inhaltlich zu
bestimmen sei, daß ferner die Würde der Person (die in dem herrlichen, aus der
Grundform des Ethischen abgeleiteten Gebot ihren Ausdruck findet, den Menschen
nie als Mittel sondern jederzeit zugleich als Selbstzweck zu betrachten) bloß auf
'hrer Idee als sittliches Wesen beruht, und nicht auf irgend welchen »Interessen«,
die zu achten sind; daß gerade nicht der Hinblick auf das was erlaubt, sondern
das was Pflicht ist, die Moralität im Gegensatz zur Legalität konstituiert, somit
auch das, was andere tun, gerade für die autonome Ethik, gar keinen Bestimmungs-
grund abgibt; hier macht sich bemerkbar, daß Nelson als Psychologist gar keine
andere Art der Allgemeinheit kennt und kennen kann, als die empirische, weshalb
er die Allgemeingültigkeit der Maxime als Gesetz bei Kant mißverstehen muß als
e'ne Allgemeingültigkeit, die erst durch Hinblick auf das, was für andere Pflicht
'st, einen Sinn erhalten kann. Deshalb kann auch für ihn (S. 17) das autonome
Prinzip Kants von einem »psychologischen Irrtum« abhängig sein, also ein Sollens-
Prinzip von einem Tatbestand! Man kann nicht schwerer gegen den Geist des
Kritizismus sich versündigen. Nelson bestreitet, daß Moralität und Legalität zweierlei
Sei; da bei der Legalität allerdings schon ein bestimmter Inhalt vorliegt, der bloß
»abgelesen«, nicht erst aus autonomer Überzeugung geschaffen wird, so deckt sich
 
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