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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Lukacs, Georg: Die Theorie des Romans, [2]: Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0396

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DIE THEORIE DES ROMANS. 391

Außenwelt, die ihr als Schauplatz und Substrat ihrer Taten aufge-
geben ist.

Im ersten Fall ist der dämonische Charakter des streitbar aus-
ziehenden, problematischen Individuums klarer sichtbar als im zweiten
Fall, zugleich aber tritt seine innere Problematik weniger kraß zutage;
sein Scheitern an der Wirklichkeit hat auf den ersten Blick mehr den
Anschein eines bloß äußeren Scheiterns. Die Dämonie der Verengerung
der Seele ist die Dämonie des abstrakten Idealismus. Es ist die Ge-
sinnung, die den direkten, ganz geraden Weg zur Verwirklichung des
Ideals einschlagen muß; die in dämonischer Verblendung jeden Ab-
stand zwischen Ideal und Idee, zwischen Psyche und Seele vergißt;
die mit dem echtesten und unerschütterlichsten Glauben aus dem
Sollen der Idee auf ihre notwendige Existenz schließt und das
Nichtentsprechen der Wirklichkeit dieser apriorischen Anforderung
als ihr Verzaubertsein ansieht, das von bösen Dämonen vollbracht,
durch das Finden des lösenden Wortes oder durch das mutige Be-
kämpfen der Zaubermächte zur Entzauberung und Erlösung geführt
werden kann.

Die strukturbestimmende Problematik dieses Heldentypus besteht
also in einem vollständigen Mangel an innerer Problematik und als Folge
dieses Mangels in einem vollständigen Fehlen an transzendentalem
Raumgefühl, an der Fähigkeit, Abstände als Wirklichkeiten zu erleben.
Achilles oder Odysseus, Dante oder Arjuna — gerade weil sie auf ihren
Wegen von Göttern geführt werden — wissen, daß diese Führung
auch ausbleiben könnte; wissen, daß sie ohne solche Hilfe machtlos
und hilflos übermächtigen Feinden gegenüberstehen würden. Die Be-
ziehung von objektiver und subjektiver Welt ist deshalb adäquat im
Gleichgewicht gehalten: in richtiger Stärke wird vom Helden die Über-
legenheit der ihm gegenüberstehenden Außenwelt empfunden; er kann
aber trotz dieser innersten Bescheidenheit am Ende doch triumphieren,
denn seine an sich schwächere Kraft wird von der höchsten Macht der
Welt zum Siege geführt; so daß nicht nur die vorgestellten und wahr-
haften Kräfteverhältnisse einander entsprechen, sondern auch die Siege
und die Niederlagen weder der tatsächlichen noch der seinsollenden
Ordnung der Welt widersprechen. Sobald dieses instinktive Abstands-
gefühl — dessen Stärke sehr wesentlich zur vollständigen Lebens-
immanenz, zur »Gesundheit« der Epopöe beiträgt — fehlt, wird die Be-
ziehung der subjektiven Welt zur objektiven paradox; wegen der Ver-
engerung der handelnden, der episch in Betracht kommenden Seele,
wird für diese die Welt, als Substrat ihrer Taten, ebenfalls eine engere,
als sie in Wirklichkeit ist. Da aber einerseits diese Umformung der
Welt und jede aus ihr folgende, nur auf die umgeformte Welt
 
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