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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Rodenwaldt, Gerhart: Wölfflins "Grundbegriffe" und die antike Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0445

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440 BEMERKUNGEN.

Blicke und mit malerischen Überschneidungen gearbeitet. Die Front des Tempels
von Baalbek und die Fassaden seiner Höfe wollen frontal betrachtet sein und bilden
geschlossene, schichtmäßige Einheiten.

Wie die hellenistische Architektur die harmonische Zusammenfassung einzelner,
plastisch zu betrachtender Baulichkeiten schuf, so bildete die römische Architektur
den Komplex von Innenräumen zu einem einheitlichen Ganzen. Seine höchste
Steigerung erfährt im Barock der malerische Stil im Innenraum. Der Innenraum
der Antike bewahrt im Gegensatz dazu stets plastische und lineare Klarheit. Jede
Einzelform, jede Fläche behält in gleichmäßigem Licht ihre festumrissene Indivi-
dualität. Ja, die lebendige Bewegung der Konstruktion wird verdeckt unter der
ruhigen Flächigkeit der Dekoration, und in der Raumanordnung glaubt man sogar
den Einfluß der ornamentalen Schönheit des gezeichneten Grundrisses zu spüren.

Barockes findet sich, sei es — im tadelnden Sinn des Wortes — in übermäßig
gesteigerten Dimensionen und launenhaften und gewaltsamen Einzelformen, wie
Ornamenten, Kapitellen, Gebälkformen, sei es in dem Teil der Architektur, der sich
auf das rein Ornamental-Dekorative bezieht, bei Blendfassaden, Gebälkverkröpfungen,
Giebeldurchbrechungen usw. In ihrem Grundcharakter bleibt die antike Architektur
stets innerhalb der Grenzen des Klassischen; die Ansätze zu barocker Auffassung
haben sich nicht zu einem neuen, von der Klassik deutlich unterschiedenen Stil-
empfinden geklärt, sondern bleiben vielmehr noch hinter der Malerei und Plastik
zurück. Der Grund ist darin zu suchen, daß die Entwicklung der antiken Archi-
tektur, wie schon oben erwähnt wurde, der der Skulptur und Malerei durchaus
nicht parallel verläuft. Die technischen und künstlerischen Bauformen des Barock
waren in der Renaissance schon vorhanden und wurden nur von einem neuen
Empfinden umgewandelt. Die antike Architektur der klassischen Kunst dagegen
ist in dem Umfang ihrer Aufgaben noch primitiv zu nennen, und ihre ganze nach-
klassische Entwicklung bis zur Sophienkirche von Konstantinopel bedeutet eine
ständige Steigerung; erst ihre letzten Jahrhunderte reichen in bezug auf den Reich-
tum der Bauformen und Aufgaben an die Renaissance heran. So konnte eine innere
Berührung mit der Entwicklung von Plastik und Malerei nur in dem dekorativen,
nicht in dem eigentlich tektonischen Teil der Architektur stattfinden.

Suchen wir zum Schluß diesen kurzen Bemerkungen ein Resultat abzugewinnen.
Wir finden eine vollkommene Parallelität zum Barock im Verhältnis der nach-
klassischen Antike zum Gegenständlichen. Barock ist manches Maßlose, Über-
ladene und Gekünstelte. Früher hat man diesen Entartungserscheinungen der nach-
klassischen Kunst eine allzugroße Bedeutung eingeräumt und ist auch in der
Anwendung der Bezeichnung des Barocken in diesem Sinne freigebig gewesen.
Wölfflin hat zum ersten Male die neuen Anschauungsformen des Barockstils unter
Abstreifung alles Äußerlichen in ihrem innersten, dauernden Wesen in begrifflich
klarer Form dargelegt. In der antiken nachklassischen Kunst finden wir die gleiche
Tendenz, die etwa der Entwicklung innerhalb der modernen Klassik in der Richtung
des Barock entspricht, aber nur Ansätze führen in den eigentlichen Barock hinein,
auch diese vereinzelt neben rein klassischer Kunst und getrennt durch klassizistisch
gesonnene Perioden. Zu einem neuen, einheitlichen Stil kommt es nicht.

Fragen wir nach den Gründen, so ist zuerst als wichtigstes hemmendes Moment
die positive lebendige Begabung der Griechen für das Plastische und das Lineare
zu nennen. Auch die Italiener sind in bezug auf das Malerische weit hinter den
Deutschen zurückgeblieben, und den Griechen fehlte noch dazu die fruchtbare
Wechselwirkung, die zwischen nordischer und südlicher Kunst der neueren Zeit
herrschte. Aber daneben scheint es doch, daß man ein, wenn auch langsames
 
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