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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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BESPRECHUNGEN. 485

oder, wie seine schiefen Namen gewöhnlich heißen: des Regisseurs oder Spielleiters.
Mit ihm ist der Schlüssel zur Bühnenästhetik wie zur wissenschaftlichen Theater-
geschichte gegeben.

Die Theatergeschichte als Inszenierungsgeschichte ist natürlich noch viel jünger
als die Entdeckung des Inszenators. Lassen wir die schon lange philologisch fun-
dierte antike und die noch, wie die deutsche, unentwickelte Theatergeschichte des
Auslands außer Spiel, so können wir die deutsche Bühnengeschichte erst vom neuen
Jahrhundert an und hier nur in tastenden Versuchen rechnen. Die Arbeiten Albert
Kösters, einstweilen noch mehr im Seminar als in der Öffentlichkeit, Petersens Schiller
und einige Arbeiten der Herrmannschen Schule sind die ersten Pioniere. Für die
Methodik der Bühnengeschichte suchten endlich Max Herrmanns »Forschungen zur
deutschen Theatergeschichte des Mittelalters und der Renaissance« (Berlin, Weid-
mann, 1914) ein Paradigma aufzustellen.

Bisher hatten wir ja nur zwei theatergeschichtliche Werke von grundlegender
Bedeutung. Eduard Devrients »Geschichte der deutschen Schauspielkunst« und
Max Martersteigs »Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert«. Devrient sammelte
und sichtete vor allem den vielen bis dahin brachliegenden Stoff und baute aus
früheren lokalen Geschichten, Akten, Briefen, Memoiren, Kritiken und dergleichen
sein Geschichtsgebäude auf. Diese Historie mußte vorerst die äußeren Tatsachen
und Zustände in eine geschichtliche Abfolge stellen. Devrient schenkte seinem
Stande die erste Zunftgeschichte, welche ihrer Absicht nach zuvörderst pragmatische,
politische Theatergeschichte war. Das Theater als Kulturorgan, als das Auge,
welches das Leben der Nation spiegelt, zu schildern, war Martersteigs Aufgabe.
Er stellte auf Grundlage der Taineschen Milieutheorie das Theater in die Gesamt-
kultur des deutschen Lebens im 19. Jahrhundert hinein, zeigte, wie fein und heftig
die Bühne auf alle politischen und wirtschaftlichen Veränderungen und Bewegungen,
auf die Philosophie, Dichtung, Malerei und Musik ihrer Zeit reagiert. Er zeigte,
daß die Bühne ein lebendiges, sehr nervös empfindliches Glied am Kulturkörper
des Volkes sei. Er gab uns die kulturelle Theatergeschichte, die soziologische
Dramaturgie, wie er selbst sie nennt. Auf diesen beiden Grundpfeilern die eigent-
lichste Geschichte der Bühne, die Entwicklung des inneren Wesens der Bühnen-
kunst darzustellen, ist jetzt die Aufgabe der jungen Theaterwissenschaft. Diese hat
uns die Theatervorstellungen der verschiedenen Zeiten zu rekonstruieren, ihre räum-
lichen, zeitlichen und künstlerischen Bedingungen und Gesetze zu erforschen und
in den Zusammenhang der genetischen Entwicklung dieser Bedingungen und Gesetze
zu stellen.

Die Bühnengeschichte geht darum von der Dichtung, die gespielt wurde, und
vom Raum, in welchem sie gespielt wurde, aus. Herrmann gibt als Beispiel die
bühnliche Rekonstruktion einer Aufführung von Hans Sachsens »Der hürnen Seyfried«,
welchen er als meistersingerlicher Regisseur an dem Orte der Aufführung, in der
Nürnberger Marthakirche, darstellt. An Ort und Stelle, an Hand der Baupläne und
Bilder, fragt er sich: Welchen Raum brauchte dieses Drama? Wo konnte man auf-
treten, wo abgehen, wo sitzen, wo »hinten Stroh verprennen« usw.? Überall muß
dabei die dramatische Möglichkeit gewahrt werden, immer das szenische Arrange-
ment mit dem Texte stimmen. Nach vielen Versuchen gelingt es, alle Szenen passen
zwanglos auf die aus dem Dialog und den Bühnenanweisungen wiederhergestellte
Szenerie. Es vollendet den Beweis, daß auch andere meistersingerliche Dramen sich
gleich gut dahin fügen. Also muß die von den Meistersingern gebrauchte Bühne
dort gestanden und so ausgesehen haben. Dann wird aus dem Dialog, den Bühnen-
anweisungen und Trachtenbüchern auch das Kostüm wiederhergestellt. Und endlich
— das schwerste! — muß die Art, wie die Schauspieler des Hans Sachs sprachen-
 
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