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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0500

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BESPRECHUNGEN. 4g5

sultate in die Praxis des eigenen Leibes zu übersetzen. Hier ist die Probebühne
unerläßlich!

Hätte Voelcker nur die von Chodowiecki gestochenen Hamletszenen mit ein
paar einfühlsamen jungen Darstellern im historischen Sinn ausarbeiten können, so
wäre sein Kapitel: Gesten und Mimik mehr geworden als eine — wenn auch fein-
gewählte, fleißige — Material Sammlung. Die Scheidung von rein bildkünstlerischen
und theatralischen Elementen aus Szenenabbildungen ist nur durch lebendige Re-
konstruktion der Szenen zu erreichen und nur durch diese auch die ästhetische
Ursache, die darstellerische Regel herauszuschälen und zu begründen. Das Wort,
das aus der instinktmäßigen Einfühlung in das Objekt wiedergeborene, ohne Ee-
tonung der eigenen Person aus der Suggestion des Materiales reproduzierte Wort
ist es, welches den lebendigen Prüfstein für das Bühnenmäßige im Bilde abgibt.
Für dieses ästhetische Experiment ist die Wundtsche Hypothese von dem mimischen
Ursprung der Sprache, ist die Rutz-Sieverssche Reaktionslehre geradezu geschaffen.
Und gerade das Jahrhundert der Aufklärung mit seiner Freude am Analysieren und
Rubrizieren bietet für solche Forschungen vielen Stoff. Man lese daraufhin nur
das reiche Kapitel über Gesten und Mimik bei Voelcker und denke sich dieses
frische Material mit den Methoden der modernen Ästhetik experimentell behandelt!
Die bloße Beschäftigung mit dem Stoff, die Sammlung, Beschreibung und Sichtung
bringt Voelckers feines, naives Gefühl zu einem richtigen Endergebnis. Er fühlt
aus der Darstellungsart des 18. Jahrhunderts »eine gewisse Philiströsität heraus, die
mit der Kraft des Shakespeareschen Heroismus nicht in Einklang zu bringen ist«.
»Eine theatralische Darbietung mußte das Produkt des Empfindungslebens dieses
Milieus bilden.« »So prägt sich in den Kupfern Chodowieckis weniger die Indivi-
dualität seiner besonderen Psyche, als vielmehr die Eigenart der damaligen Zeit-
strömung mit ihrem Verständnis für Shakespeare aus, dessen Genius man noch
nicht in seiner ganzen Gewalt erfaßt hatte, weil man ihn nur von seinem engen
Gesichtspunkt aus zu begreifen vermochte.« Dieses Resultat wäre zu beweisen
gewesen; zuerst durch die Aufführung der betreffenden Hamletszenen im Original
und im Stil der Shakespearedarsteller in Shakespeares Zeit und daneben durch die
Darstellung im Stil Schröder-Doebbelin-Chodowieckis. Dann hätte der Vergleich
ein greifbareres Resultat ergeben als das reinste Gefühl aus der bloß philologisch-
bildkritischen Methode. Voelcker findet es ganz begreiflich, daß uns in Chodo-
wieckis Shakespeareillustrationen »irgend etwas, das wir uns nicht gleich zu erklären
vermögen, fremd anmutet«. Er schiebt dieses uns Unshakespearische der Bilder,
die »fast durchweg den Stempel einer gewissen Bedächtigkeit tragen; Leidenschaft
und inneres Feuer sind ihnen zum großen Teile fremd, grandioser Schwung fehlt
ihnen durchgehends« — er schiebt dieses Fremdgefühl dem Alter Chodowieckis zu.
Es ist aber doch die Zeit, welche so sah und fühlte wie Chodowiecki, das zeigt ja
der Text Schröders, zeigt der gute Ausgang des Hamlet. In dem »irgend etwas«,
dem Voelcker nicht nachspüren konnte, liegt der Quellenwert der Hamletkupfer
eigentlich verschlossen.

Was Voelcker mit seinen Mitteln erreichen konnte, hat er vollauf geleistet. Er
hätte auch sicherlich die exakten Forderungen erfüllt und — nach seinem guten
Instinkt zu urteilen — gut erfüllt, hätte er auf experimentellem Wege näher an sein
Problem herangekonnt. Daß er sich scheute, sein Gefühl mit einer bloßen Hypo-
these zu erklären, ehrt ihn; denn wir haben an Essays und anderen journalistischen
Dilettantismen gerade unter den Theaterbüchern reichlichen Überfluß. Voelcker
behält sich alle Rechte, »insbesonders das Recht an einer Inszenierung«, seines Buches
vor. Ich nehme diesen Vorbehalt nicht bloß als ein Kompliment gegen die von mir
aufgeworfene Frage des Urheberrechts an Bühnenkunstwerken. Vielmehr sehe ich
 
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