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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 11.1916

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Meyer, Karl A.: Der Typus des Künstlers in der Dichtung Thomas Manns
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https://doi.org/10.11588/diglit.3817#0324

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• DER TYPUS DES KÜNSTLERS IN DER DICHTUNG THOMAS MANNS. 3IQ

»schmücken«, ich glaube aber doch, daß die Bezeichnung »Künstler«
für sie zu schade ist. Worauf es hier ankommt, ist aber nicht das
Wort, sondern die Sache. Und darin folgt Mann tief berechtigter Über-
zeugung, wenn er, der »Literat«, in »Gladius dei« den Mönch Hierony-
mus im Namen seiner aus Entsagung, Wissen und Leiden geborenen
Kunst Protest erheben läßt gegen die »Augen- und Schaukunst«, die
nur entbehrliche Arabesken um den Werkeltag schlingt; Protest im
Namen der künstlerischen Sendung als höherer Notwendigkeit gegen
das gesellige Talent; des um das tiefste Leid der Menschheit Wissen-
den gegen die unangekränkelte Frivolität, die die Mutter Gottes als
Verkörperung der Sinnenlust darstellt; Protest gegen »das Leben und
seinen Triumph«.

»Fiorenza« gibt diesem Gegensatz eine grandiose Form. In
einem großen, bis ins Einzelne symbolisch durchleuchteten, farben-
glühenden, innerlich stark bewegten Gemälde gruppiert des Dichters
künstlerisch ordnende Hand die gegensätzlich gegliederte und mannig-
fach abgestufte Gestaltenfülle um einen beherrschenden Mittelpunkt:
Fiorenza, die Verkörperung von Florenz, das festliche Leben, Venus
Genetrix, zeugende Schönheit, triebgewaltige Kunst, und steigert den
Gegensatz mit höchster symbolischer Kraft empor in der Gegenüber-
stellung des sterbenden Lorenzo und des Priors von S. Marco: des
»Künstlers« und des »Heiligen«: des glänzenden, liebenswürdigen
Fürsten, des Herrn der Schönheit, inmitten seines Künstlervölkchens,
umgeben von schwerer Pracht, und des bleichen, ungelenken, von
seiner Einsamkeit und der Leistung seines Lebens zermürbten, von
innerer Glut verzehrten Mönches. Er läßt ihren Geist sich suchen,
sich entflammen, bekämpfen; sich finden und zusammenklingen, sich
himmelweit entfernen und bekämpfen bis zur Vernichtung. Es eint
sie »der Wahnsinn, der sich einem unbekannten Gott opfert«, mag er
Dämon, Wille, Rausch, Leidenschaft oder Gott heißen. Es eint sie
die Sehnsucht nach Schönheit, die das frohe, liebliche, starke Leben
ist und die sich beiden von der Natur Benachteiligten versagt, die
jenem einen Sinn vorenthielt und diesem Häßlichkeit des Leibes gab.
Beide auch rangen aus innerer Häßlichkeit, aus Fleischeslust und -quäl
nach Reinheit, Lauterkeit, Frieden — in Strenge und Zucht: denn nicht
dem »einfach Starken ist der Kranz des Heldentums bestimmt«, son-
dern dem Schwachen, der seine Schwäche besiegt. Und beide stehen
auf einsamer Höhe und thronen klug und kühl, hart und ichsüchtig
über den vielen, die staunen und verehren, ichsüchtig und macht-
süchtig aus Leiden, denn Leiden will Ruhm als Entgelt. Aber über
dem Gemeinsamen steht das Trennende. Denn Lorenzo wirkte
das Böse. Er mehrte »des Satans Süßigkeiten« auf Erden, ihm schien
 
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