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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0113
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BESPRECHUNGEN.

99

glaube ich seine Grundanschauung von der Behandlung des Bildstoffes nach dem
fortschreitenden Verfahren der Dichtkunst nur noch verständlicher machen zu können.
In der sienesischen Miniatur dürfen wir andererseits mit einer Kreuzung der Stil-
richtung Duccios und der Lorenzetti rechnen, wie sie hier vorliegt. Der Schrein des
Corporale bezeichnet in der Kunstentwicklung des Zeitalters die Wendung zur
Systematisierung des gesamten Darstellungsgehalts. Das weltliche Gegenstück dazu
erblickt Schinarsow in Ambrogios um dieselbe Zeit entstandenen Fresken der Sala
della Pace. Hier stehen einander die Allegorien des guten und des schlechten Regi-
ments an den Schmalwänden und die Sittenbilder ihrer Wirkungen an den Lang-
seiten paarweise gegenüber. Die wohlerhaltene Lebensschilderung derjenigen des
guten ist wieder in das Stadtbild zur Linken und das landschaftliche rechts auf-
geteilt, deren Einzelheiten sich nur im Entlangschreiten oder -sehen von links her
ablesen lassen. Die Gestalten kommen aber zumal im ersteren dieser Blickbewegung
entgegen und folgen ihr erst, wo der Schauplatz zur Landschaft abfällt, größten-
teils. Der zweistreifige Aufbau der zugehörigen allegorischen Bilder beruht hin-
gegen ganz auf dem symbolischen Gedankenzusammenhange und wird aus diesem
heraus in einer bisher noch nicht erreichten Klarheit der dieser Anordnung der
Tugendpersonifikationen zugrunde liegenden Beziehungen erläutert, — ebenso die
Bildgestaltung des Gegenstückes mit den Lastern. Durch die zwischen den Quer-
balken der Decke eingefügten Monatsbilder und die unter den Wandkonsolen ver-
teilten freien Künste wird die Eingliederung der in sich geschlossenen großen Bild-
felder in den architektonischen Raum bewirkt. Die Einführung der allegorischen
Gestalten in die Darstellung des zeitgenössischen Lebens durch Ambrogio sieht
Schmarsow schon in einer ihm zuzusprechenden Freske der Madonna mit der ihr
zu Füßen liegenden Eva in Montesiepi bei S. Galgano und auf seiner Altartafel
in Massa Maritima vorbereitet, wo die drei theologischen Tugenden sie, auf den drei
in Weiß-Grün-Rot gefärbten Stufen aus Dantes Purgatorio (IX, 94—102) sitzend,
umgeben.

Fassen wir nun vor der anschließenden Schlußbetrachtung noch die übersprun-
genen beiden Abschnitte über die Reliefkunst des Trecento ins Auge, und zwar in
umgekehrter und dadurch wiederhergestellter chronologischer Folge. Die Würdi-
gung der Fassadenreliefs von Orvieto bietet eine vorbildliche Leistung methodischer
Enträtselung eines Denkmals. Schmarsow konnte hier auf dem Ergebnis seiner
früheren Untersuchung (s. o.) fußen, durch die er für den ersten Entwurf der
Domfassade die Urheberschaft des Ramo di Paganello erwiesen hat, in dessen Hand
die Bauleitung von 1293—1302 lag. Von ihm ist bezeugt, daß er zuvor um 1288
in Siena einer Werkstätte vorstand, in der er als Werkleute Söhne und Neffen be-
schäftigte, und daß er schon vor 1281 jenseits der Alpen gewesen war. Auf fran-
zösische Vorbilder weist denn auch der schon im Entwurf vorgesehene Reliefschmuck
der vier Fassadenpfeiler zurück, vor allem die ihnen gemeinsame aufsteigende Ranke
als dekoratives Gerüst. Da sie nur am zweiten, die Marienlegende tragenden Pfeiler
als Wurzel Jesse sinnvoll aufgefaßt ist, muß es hier seinen Ursprung haben und
für die beiden stilistisch eng zusammengehörigen inneren Pfeiler zum mindesten
im Entwurf bereits die Bildgestaltung vorgezeichnet gewesen sein, wie auch die
durchweg auf die Ablesung von unten nach oben und von links berechnete Anord-
nung der Szenen. In inniger Wechselbeziehung stehen aber auch die beiden sie
umklammernden Außenpfeiler als Träger der Schöpfungsgeschichte links und des
Weltgerichts rechts. Und dem entspricht ihre nähere Stilverwandtschaft. Streng
gotisch ist ihr einreihiges Halbrelief, das zur Zerlegung der Handlung in Einzel-
momente reizt, wie in der Geschichte des ersten Menschenpaares, gotisch das ge-
 
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