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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0115
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BESPRECHUNGEN.

101

Stellung i. T. einsetzende Vergröberung des Stils in der weiteren Folge ihm nicht
zutrauen zu dürfen, wohl aber seinem Sohn und Nachfolger in der Dombauleitung
Nino. Und so verrückt er die Ausführung des dritten Pfeilers sogar über Maitanis
Tod (1330) in die letzten Vierziger-Jahre. Diese Lösung kann m. E. ungeachtet der
sicheren Stilkritik nicht befriedigen. Denn diese enthält, wie Schmarsow selbst fühlt,
schwer erklärbare Widersprüche. Für den Entwurf nimmt er auch hier noch Ramos
Urheberschaft in Anspruch, auf die manche französischen Züge, besonders in der
Geburt und der Anbetung der Könige sowie auch in der Darstellung i. T. die szeni-
schen Beigaben sprechen, für die Ausführung andererseits die (fortbestehende ?)
Werkstatt desselben, da manche Figuren einen „Rückfall" in deren Technik verrieten.
So würde Andreas und Ninos persönlicher Anteil sich auf das „Vormodellieren"
beschränken. Allein wir haben kein Recht, ein solches Zwischenverfahren für die
Steinplastik des Trecento vorauszusetzen. Auch würde das die weitgehende Über-
einstimmung mancher Typen, besonders der Engel und des Gekreuzigten mit denen
des zweiten und sogar des ersten Pfeilers, ja die im wesentlichen doch gleichartige
Auffassung von Körperbau und Gewand nicht erklären. Alles das spricht vielmehr
für gleichzeitige oder unmittelbar anschließende Entstehung auch des dritten, wie
es am nächsten liegt, und nicht erst nach einem Zeitraum von fast 50 Jahren. Es
sind die urkundlichen Zeugnisse von Andreas Berufung zum Bauleiter, die allein
diesen Fehlschluß verschuldet haben. Es ist Andrea, und es bleibt Schmarsows
Verdienst, ihn hier zuerst erkannt zu haben, aber nicht der alte, sondern der junge,
der als Gehilfe Ramos, und vielleicht noch Maitanis, gearbeitet haben muß, und
zwar schon am zweiten Pfeiler zusammen mit dem ersteren. Ist doch dort der
hinaufweisende Prophet der unteren beiden Streifen der Vorläufer seines (nicht
Ninos) Bettlers aus dem Portalrelief von S. Martino in Pisa und mancher Prophe-
tenkopf ein solcher seiner Patriarchen am Campanile in Florenz sowie der Salomos
der hl. Reparata der Domopera. Am dritten Pfeiler aber ist der Christus der Taufe
und des Noli me tangere dem dortigen und sogar dem der Bronzetür nächstver-
wandt. Doch kann ich eben nicht den abgeklärten Stil der letzteren als Vorstufe
ansehen, sondern in Orvieto nur Andreas Jugendstil erkennen, der noch dem der
Pisani in seiner massigeren Formensprache näher steht, wie ja auch Schmarsow
Beziehungen zu den Kanzeln erkennt. Seine spätere Berufung nach Orvieto mag
durch die frühere Betätigung mitveranlaßt worden sein. Von Ninos Beteiligung
hingegen sehe ich keine sichere Spur, — sie bleibt bestenfalls Hypothese.

Was hat denn die Wandlung im Stil Andreas hervorgerufen? Die Antwort dar-
auf ergibt sich aus der vorangehenden Betrachtung- seiner Baptisteriumstür. Hatte
Schmarsow schon früher die Befolgung strenger Kompositionsgesetze, beruhend auf
der zusammenfassenden und wieder ausweitenden Kraft des Vierpaßrahmens, für
sie erwiesen, so weiß er hier ihren Einklang mit der allgemeinen Anschauungsweise
der Zeit zu beleuchten. In Bilderpaaren, die jedesmal gewissermaßen Vorspiel und
Haupthandlung umfassen, ist die Legende des Täufers auf beide für sich abzu-
lesenden (geöffneten) Türflügel verteilt, und nur die acht Tugenden der unteren beiden
Reihen schließen sich um den Türspalt der vereinigten Hälften zum Sockel zusam-
men. Innerhalb des Einzelbildes aber herrscht wieder die Zweiteilung der gereihten
Gruppen vor, wenn nicht in Hauptszenen, wie in dem Agnus Dei, Johannes der
Protagonist zur beherrschenden Mittelh'gur wird oder Christus in der Taufe. Ebenso
selten und erst in den Bestattungsszenen geht die rhythmische Reihung durch das
ganze Bild oder wird die Horizontale oder Diagonale zur Dominante. Dazu kommt,
daß jeder Vorgang gleichsam in einen (meist unsichtbaren) quadratischen Bild-
rahmen mit fester Standebene eingeschlossen ist. So ordnet sich die Reliefgestaltung
 
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