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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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Biehle, Herbert: Die antike Stimmkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0295
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BEMERKUNGEN.

281

zuerst der Gesang einzeln eintretender Choreuten ein, wurde dann in kleineren
Gruppen fortgeführt, hierauf in zwei Halbchören, endlich im ganzen Chor1).

Nun besteht die Auffassung, daß die Schauspieler deklamatorisch gesprochen
haben, während der Chor singend agierte. Indessen hat die neuere Forschung eine
erheblich stärkere Durchsetzung des antiken Dramas mit wirklichem Gesang ergeben
als man früher annehmen zu müssen glaubte, sofern nämlich nicht nur die Chöre,
sondern auch viele Teile der Parte der Schauspieler gesungen wurden2). So war
der Theseus in Euripides' „Hippolytos" ein Vorläufer unseres Heldenbaritons, der
Dikaiopolis in Aristophanes' „Acharnern" dem Operettenkomiker verwandt^). Aller-
dings sind wir im Unklaren, welche Teile gesprochen und welche gesungen wurden.
Wie dem auch sei: im Gegensatz zu unserem Theater, das entweder Sprechkünstler
oder Sänger erfordert, vereinigte die Antike beide Künste in Personalunion. Wobei
allerdings wesentlich ist, daß die Musik der Griechen von der unsrigen insofern
erheblich abweicht, als sie keine Harmonik und Mehrstimmigkeit kannte. Die
griechische Musik war ihrem Wesen nach Vokalmusik, der die menschliche Stimme
die Gesetze ihrer Melodiebildungslehre diktiert hatte. So fand ein inniges An-
schmiegen der Melodie an den Akzent der Sprache statt4).

Tragödie und Komödie sind aus lyrischen Elementen hervorgegangen und
hatten ursprünglich den Charakter eines Singspiels5). Als spezielle Wurzel des
Dramas kommt der Dithyrambus in Betracht, allerdings erst in der Form, die ihm
Arion ca. 600 gegeben hat, nämlich als kunstvoller, von einem Chor von 50 im
Kreise aufgestellten Sängern vorgetragener, strophischer Gesang0). Der Nomos,
ursprünglich Einzelgesang, dessen erster Vertreter Terpander war, wurde, durch
das Aufkommen des Chorgesanges mit oder ohne Tanz und des Chortanzes mit oder
ohne Gesang stark gehemmt und schließlich ganz und gar zurückgedrängt. Die
Monodie wurde zunächst nicht aufgegeben, wohl aber nun der Reiz des Wechsels
zwischen Monodie und Chorgesang schnell erkannt und ausgenutzt"). Ursprünglich
komponierte der dramatische Dichter selbst die zum Gesangsvortrag bestimmten
Teile seiner Dramen; später wurde vermutlich die Komposition von einem beson-
deren Tonsetzer vollzogen8).

Wir haben dreierlei Arten des Vortrags zu unterscheiden:

1. Deklamation: weil die Stimme dabei von großer Stärke sein mußte, war
auch eine Verlangsamung des Tempos geboten. Natürlich war die Wortfolge in der
Tragödie relativ langsamer als in der Komödie.

2. Gesang: beim Chorgesang im Oktaven-Unisono, dazu kamen Verzierungen
und Variierungen der Melodie.

3. eine Mittelstufe zwischen Deklamation und Gesang: die P a r a k a t a 1 o g e.
Sie war kein Rezitativ, vielmehr eine Unterbrechung des Gesanges durch wirk-
liches Sprechen unter musikalischer Begleitung, also ein melodramatischer Vortrag.
Die Parakataloge hatte ursprünglich eine humoristische Wirkung, man denke an

!) Riemann, Handbuch der Musikgeschichte I, 1, 1923, S. 151.

2) Riemann, a. a. O. S. 140.

3) Steinitzer, Meister des Gesanges, Berlin 1920, S. 20.

4) Abert, a. a. O.

s) Wilh. Christ, Die Parakataloge im griech. u. röm. Drama, München 1875.
Abh. d. philos. phil. Kl. d. Kgl. Bayr. Ak. d. Wiss.

o) Riemann, a. a. O. S. 143.

?) Riemann, a. a. O. S. 74.

s) Körting, Geschichte des griech. u. röm. Theaters. Paderborn 1897, S. 303.
 
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