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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0310
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296

BESPRECHUNGEN.

Geschichtsphilosophie in der Form einer nüchternen Methodik, das ist die Form
Wölfflins, pädagogisch die wirkungsvollste. Strich übernimmt darum die Anord-
nung in Beispiel und Gegenbeispiel, schlagkräftiges Einandergegenübersetzen des
Unterschiedlichen, aber die strenge Aufteilung nach Kategorien vermeidet er. Kate-
gorien hat er eigentlich nur zwei: gleichsam Oberbegriffe: Vollendung und Unend-
lichkeit, von denen alle anderen abgeleitet sind. An sich außerordentlich glückliche
Formulierungen, die auch Wölfflins Begriffspaare nicht schlecht zusammenfassen.
An Stelle der Einteilung nach Kategorien tritt nun eine nach Inhalten: der Mensch,
der Gegenstand, die Sprache, Reim und Rhythmus usw. Es liegt darin jene oben
angedeutete Einbeziehung des ganzen Menschentums ausgesprochen, die Zurück-
drängung des Formalen oder besser: seine Ableitung aus der Weltanschauung. Aber
auch Wölfflin spricht nur scheinbar von der Form des Sehens allein. Denn wer
von der Psychologie Lipps ausgeht, meint, wenn er auch nur von Linien spricht,
letztlich doch Weltanschauung. Wahl der Form ist Wahl der Weltanschauung. Wo
der geschlossene Kreis als ruhende Form bevorzugt wird, wird auch überall die in
sich ruhende Welt begriffen und geglaubt. Somit ist auch ein Kapitel „der Mensch"
eine letzte und sehr wertvolle Konsequenz rein grundbegrifflichen Denkens und nicht
nur eine Forderung des Stoffs, insofern auf die Identität der formalen und der in-
haltlichen Weltanschauung der Nachdruck gelegt ist. Aber nicht zu übersehen: es
liegt hier eine große Gefahr. Eine Gefahr, in die Betrachtung rein gesetzmäßiger
Abläufe wieder die Sorge um das individuelle Schicksal einfluten zu lassen, aus der
Geschichtsphilosophie eine Literaturgeschichte zu machen. Es ist ein innerer Wider-
spruch, wenn sich Begriffe wie Schicksal, Entsagung, Tragik, Versöhnung wie ein
roter Faden durch ein Buch spinnen, das von apriorischer Gesetzmäßigkeit —
„Grundbegriffen" — handelt und mit ihrer Ableitung aus dem Ewigen beginnt.
Wölfflins Grundbegriffe tun keinem Menschen wohl oder wehe und werden nicht
schicksalshaft, wohl überhaupt nicht bewußt empfunden; Strich sagt: „Die klassische
Form ist hier (bei Goethe) nur aus dem Kampf als das Ergebnis schmerzlichster
Entsagung, Opferung und Entscheidung hervorgegangen." Nicht das Hineinziehen
des Weltanschaulichen, nicht das Menschliche schlechthin, aber jenes Oszillieren
zwischen Gesetz und freier Wahl, zwischen bloßer Gegebenheit und persönlichem
Schicksal macht die Darstellung methodisch zwiespältig und begrifflich dunkel.
Man hat den Eindruck, als wäre über der Furcht kahl zu wirken etwas von roman-
tischer Unerlöstheit mit in das Buch hineingeflossen.

Eine andere Schwierigkeit erhebt sich gegenüber der Parallelsetzung von
Barock und Romantik, also: Barock des 17. Jahrhunderts und Romantik vom Beginn
des 19. Jahrhunderts. An sich läßt sich gegen eine Übertragung einmal innerhalb
einer Periode gewonnener antithetischer Begriffe auf eine andere nichts einwenden,
ebensowenig auf eine andere Kunstart, da erschöpfend erfaßte psychologische Er-
scheinungen in den einzelnen Disziplinen der Kunst und in jeder Kulturstufe sich
gleich äußern müssen. Ist der Kulturinhalt auch jeweils ein anderer, so bleibt für
die immanente Formerfassung nur ein Entweder-Oder. Freilich ist es nicht immer
leicht die eigentliche Parallele, den Kulminationspunkt der Stile zu finden und sie
einander gegenüberzusetzen.

Ziehen wir die bildende Kunst zu Rate, so müssen wir die Stilidentität von
Barock und Romantik durchaus verneinen. Entspricht zwar die Linearität eines
Thorwaldsen der eines Raphael, haben wir also in beiden Fällen eine echte Klassik
vor uns, so entspricht ein Overbecksches Gemälde in keiner Weise einem Rembrandt
oder Terborch oder Caravaggio. Der malerische Gegenstil der Thorwaldsen-Klassik
beginnt mit Menzel und kulminiert im Impressionismus, deckt sich also etwa mit:
der naturalistischen Dichtung des jungen Hauptmann.
 
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