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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0311
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BESPRECHUNGEN.

297

Man könnte nun einwenden, daß es sich in der Romantik um frühe Anfänge,
um einen erst andeutenden, noch nicht zu letzter Konsequenz entfalteten Barock
handelt, daß aber gerade in jene Jahre der Kämpfe die Entscheidung und damit
der beachtenswerte Schnittpunkt fällt. Ziehen wir wieder die bildende Kunst zur
Hilfe heran, so kommen wir damit der Erklärung allerdings einen Schritt näher.
Zwischen Klassik und Barock des 16. bzw. 17. Jahrhunderts schiebt sich der
Manierismus, eine von beiden sich gleich weit entfernende Übergangserscheinung.
Zwischen die Klassik des Thorwaldsen und den Naturalismus des Impressionismus
schiebt sich ebenfalls ein manieristischer Übergangsstil, als deren Vertreter in der
Malerei Kersting, Caspar David Friedrich usw. zu gelten haben. In der Literatur
entspricht die Romantik dem Manierismus und sondert sich von dem eigentlichen
Barock. Und so kommt es, daß dann in der Strichschen Definition des Barock-
Romantik-Stils ein Doppeltes enthalten ist: die eigentlich romantisch-manieristischen
und die eigentlich barocken Elemente.

Strich macht einen Unterschied zwischen Romantik und Romantik. Er trennt
die „christliche" und die „dionysische", nimmt beides allerdings als nebeneinander
bestehend an, als zwei Strömungen innerhalb des Romantischen. So umschließt die
Romantik, die als „unselig, sehnsüchtig und weltflüchtig" bezeichnet wird, zu glei-
cher Zeit das dionysische Ideal, den „trunkenen Gesang des unendlichen Lebens",
obwohl man für sie nur das christliche, „das flüchtige Lied von Tod und Vergäng-
lichkeit" erwarten würde.

Das dionysische Ideal entspricht in gewisser Hinsicht dem barocken, das christ-
liche dem romantischen. Barock und Romantik, dionysisch und christlich sind nicht
verschiedene Färbungen eines Stils, sondern zwei verschiedene einander ablösende
Stile.

Schon in der Begriffsbestimmung der Unendlichkeit steckt jene Doppeltheit,
jene zweifache Gegensatzmöglichkeit zur Vollendung. Der oberste Grundbegriff,
der aber schon die Spaltung in Vollendung und Unendlichkeit in sich trägt, ist
nach Strich die „Idee der Ewigkeit". „Vollendung ist ein Sein, das von der Zeit
nicht mehr berührbar ist." „Ewig ist was so vollendet in sich selber ist, so eine
eigene Idee verwirklicht und erfüllt, daß es selig in sich selbst und unberührt von
Wechsel und Verwandlung dauern muß." Gewiß, alle Klassik strebt nach Behar-
rung, sagen wir: nach der „ewigen Idee". Nun aber der Gegensatz: „Aber ewig ist
auch was unendlich ist. Was niemals enden kann, weil es niemals vollendet sein
kann, was niemals in sich selber selig ist, sondern immer über sich selbst und aus
sich selbst heraus treibt." Schon hier haben wir die Doppeltheit. Liegt der Schwer-
punkt bei der unendlichen Variation des Barock in der Tat im Ewigen? Hat das
Einmalige, Individuelle, sich nie und nimmer Wiederholende, die unendliche Zer-
teilung in Mikrokosmos und Makrokosmos Ewigkeitstendenz? Ist sie wirklich nicht
in sich selbst befriedigt? Enthalten Gestalten wie Macbeth, Lear, Richard III.
Ewigkeitswahrheit, nicht viel mehr jene Erkenntnis eines komplizierten Ergebnisses
aus Veranlagung, Milieu und Zufall, also Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit?
Der überzeugte Naturalist kennt nicht den Ewigkeitsgedanken, ihm bleibt alles an
den Augenblick gebunden. Der Reichtum der Naturentfaltung schließt den Glauben
an Erhaltung wie an Wiederholung aus, verschließt sich häufig selbst dem Natur-
gesetz. Unendlichkeit wohl, aber nicht Ewigkeit.

Anders die Romantik, der Manierismus: „Die Dauer der unendlichen Ver-
wandlung, Bewegung und Entwicklung, der unendlichen Melodie, der schöpferischen
Zeit, die niemals Abschluß und Vollendung kennt des unendlichen Werdens." Der
Barock kennt nur das Einmalige, zeitlich und räumlich Einmalige, nicht die Dauer
der Bewegung. Ihn interessiert das Davor und das Danach nur als Zuspitzung
 
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