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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0317
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BESPRECHUNGEN.

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als auch für den Barock allenthalben existent überzeugend nach, ja als Voraus-
setzung für die richtige Erkenntnis der Tatbestände überhaupt. Wie er dabei die
Unzulänglichkeit der Notenschrift für das improvisatorisch-übergangsmäßige Vor-
tragswollen jener Stürmer und Dränger aus Opitzens Zeit skizziert, das gehört
zum Feinsten und Besten der heutigen musikwissenschaftlichen Facharbeit. Vetters
Buch, unterstützt durch die sorgfältige Bearbeitung eines Musikbandes mit 311
ganzen Beispielen, zu denen noch zahlreiche Notenerläuterungen im Textteil treten,
bedeutet eine höchst erfreuliche Förderung unseres Wissens um die „Heldenzeit"
des „neuen" deutschen Liedes. Auch die Ausstattung ist hoch zu rühmen.
Berlin. Hans Joachim Moser.

Rudolf v. Laban, Des Kindes Gymnastik und Tanz. — Derselbe,
Gymnastik und Tanz. Oldenburg i. O. 1927. Gerhard Stalling-Verlag.

Die beiden Schriften des berühmten Begründers der Bewegungschöre und des
modernen raumbezogenen Tanzes behandeln mit verschiedener Einstellung dasselbe
Gebiet, nämlich die wesenhafte Unterschiedenheit von Gymnastik und Tanz. Aber
die erstgenannte Schrift zieht daraus die pädagogischen Konsequenzen und zeigt
die vielseitige Anwendung der gymnastischen und der tänzerischen Betätigung des
Kindes in der Erziehung; die zweite Schrift behandelt das Problem unter allgemei-
neren Gesichtspunkten und will die Rolle von Gymnastik und Tanz in der ganzen
Breite und Vielfältigkeit des individuellen und des kulturellen Lebens darstellen.

In der ersten Schrift lernt man Laban als eine Persönlichkeit von außerordent-
licher pädagogischer Begabung kennen. Mit ungewöhnlichem Feingefühl für die
körperlichen und seelischen Eigentümlichkeiten des Kindes begabt, macht er die
Gymnastik als zweckbewußte rhythmische und dynamische Tätigkeit der Muskeln
und Gelenke und den Tanz als freie schöpferische Bewegungsgestaltung für die
körperliche, seelische und geistige Erziehung nutzbar. Er kann überzeugend nach-
weisen, wie mit seinen Mitteln ein Hauptziel der heutigen Pädagogik erreicht wer-
den kann, nämlich die Kinder zu Menschen zu erziehen, die mit voller ungebroche-
ner Stärke eine leiblich-seelische Einheit darstellen und aus einem organischen
Ganzheitsgefühl heraus leben. Scharf geschieden von aller künstlerischen Aufgaben-
stellung soll die Gymnastik allein dem Leben dienen, und es ist durchaus nicht nur
das Förderung der gesundheitlichen Belange, die Laban erwartet, sondern vielmehr
die Hinführung zu geistiger und seelischer Tiefe und Klarheit.

Deutlicher, weil grundsätzlich, wird die Unterscheidung zwischen Gymnastik
und Tanz in dem zweiten der oben genannten Bücher herausgearbeitet. Laban zeigt,
daß dieselbe Bewegungsabfolge ganz Verschiedenes bedeuten kann: sie kann tänze-
risch gemeint sein, und sie kann gymnastischen Sinn haben, je nachdem ob sie freie
Bewegungsgestaltung oder zweckbewußte ist. Diese Unterscheidung ist wichtig
gegenüber den vielen Unklarheiten und Vermischungen, die heute noch in vielen
Körperbildungsschulen bestehen. Man vernimmt auch gern von dem großen Erneu-
erer der Tanzkunst, in welch innerer Verbindung die gymnastische und tänzerische
Körperkultur zum religiösen Leben steht und immer, wie sie auch im einzelnen sich
darstellen mag, Ausdruck einer metaphysischen Grundhaltung ist, die man als einen
vitalistisch gestimmten Pantheismus bezeichnen kann. Des weiteren wird eine recht
ausführliche Darlegung der Grundformen der Bewegung, hergeleitet aus der ana-
tomischen Grundstruktur des Körpers und der darauf sich aufbauenden Übungs-
gruppen, die Verbindung des statischen, des harmonischen und des rhythmischen
Gesichtspunktes und ferner sehr feinsinnige Betrachtungen, wie diese Übungs-
 
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