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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0366
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BESPRECHUNGEN.

sich auswirkende Bewußtsein überhaupt, das zugleich das absolute Sein ist
(ein wirkliches Bewußt-Sein). Solger gibt nun mit einer kühnen Wendung eine
religiös-romantische Deutung der Tatsache, daß alle Vernunfthandlungen der zeit-
überhobenen Einheit des Geistes entstammen: sie sei das Zeichen einer Offen-
barung des Ewigen im menschlichen Selbstbewußtsein, welches damit in seiner
empirischen Nichtigkeit erkannt werde, denn das überzeitliche Prinzip der absoluten
Einheit ist die Voraussetzung alles Erkennens und damit sowohl des erken-
nenden empirischen Ichs als auch des Erkannten. Erkennen und Erkanntes, Denken
und Sein sind weiter nichts als Momente des Absoluten, die freilich (im Gegen-
satz zu Schelling!) nicht „identisch" sind, sondern in einer ewigen dialektischen
Korrelation stehen. Das „Sein" ist bei Solger nämlich keineswegs allgemeiner Natur
(und das Individuelle nur „quantitative Differenz"), sondern gerade der Inbegriff
des Besonderen. Somit muß zwischen ihm und dem „Allgemeinen" ein ständiger
Gegensatz bestehen. Das Denken nun ist es, welches das Allgemeine setzt und das
Besondere in den Brennstrahl der transzendenten Einheit rückt. Anders als durch
Ideen kommen wir aber nach Solger jener Einheit nicht näher. Die Idee des
Wahren offenbart die ewige Einheit in der Richtung vom Besonderen zum All-
gemeinen. Die Idee des Guten verwirklicht sie in der umgekehrten Richtung: vom
Allgemeinen zum Besonderen. Beide Richtungen sind „Bewegungen" nur für das
empirische Ich; im absoluten Selbstbewußtsein sind sie aufgehoben, „vernichtet".
Darin besteht das Wesen der Dialektik des Absoluten. Die Idee des Schönen
nimmt eine Mittelstellung ein: sie löst die Erscheinungswelt nicht ins Denken des
Allgemeinen auf, sondern stellt vielmehr das Allgemeine im Besonderen, das Wesen
in der Erscheinung dar. Auch vom Guten unterscheidet sich das Schöne. Das
Gute tendiert zwar zum Besonderen, zur „Wirklichkeit", denn es will ein allgemein-
gültiges Sollen in sie überführen, aber es erreicht niemals die vollendete Ver-
schmelzung der Idee mit der Wirklichkeit.

Das Gebiet der Idee des Schönen stellt somit ein Reich zwischen dem
Wahren und dem Guten dar. Mit äußerster Kürze formuliert: Denken des Seins
= Idee des Wahren. Seinsollen des Denkens (d. h. der Vernunft) = Idee des
Guten. Einheit des Denkens und Seins in der Erscheinung = Idee des Schönen.
Sie wird erfaßt durch das Organ der schöpferischen Phantasie, die das
Unbewußte mit dem klarsten Bewußtsein vereinigt. Damit hätte Solger, wie es
scheinen könnte, ähnlich wie Schelling die Ästhetik zum Hauptteil der Philosophie
gemacht und ihr den Primat zuerkannt. Das ist in Wahrheit nicht der Fall. Das
Ästhetische ist für Solger durchaus keine größere Offenbarung des Absoluten als
es die anderen Offenbarungsformen sind. Sein Positives (daß es nämlich die Idee in
vollkommener Verschmelzung mit der Anschauung, der Erscheinung, zeigt) ist
auch sein Negatives, weil es die Idee n u r in der Erscheinung darbietet.

Wie bestimmt nun Solger im einzelnen das Wesen der Schönheit? Von der
objektiven Seite her als Einheit von Idee und Erscheinung, Einfachem und Mannig-
faltigem, Einem und Besonderem. Von der subjektiven Seite her als harmonisches
Zusammenspiel aller seelischen Kräfte, die mit dem Gegenstande ihrer Lust ver-
schmelzen. Sein und Selbstbewußtsein sind im Schönen eins; daher kann die Idee
des Schönen nicht in der Wirklichkeit allein erkannt werden, sondern nur vom
Standpunkte des Bewußtseins aus. Es gibt nach Solger kein Naturschönes, wie es
auch kein Naturrecht gibt (Recht gibt es nur im Staat, geschaffen vom Bewußt-
sein). Da, wo wir die Natur als schön betrachten, sehen wir sie als Offenbarung
des (göttlichen) Selbstbewußtseins, als das Kunstwerk Gottes, an. Die Dinge er-
scheinen „beseelt" und voller „Geist", dadurch gewinnen sie eine symbolische Be-
 
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