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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 23.1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.14175#0369
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BESPRECHUNGEN.

355

Mauer M—M 1 dem iktinischen Entwurf angehören soll, obwohl sie ganz dicht an
die Ecke P 1 des Hallenfundaments herantritt. Verständlicher wäre, daß sowohl
diese Mauer wie auch die Speicher erst möglich wurden, als man den Entwurf ein-
schränkte; keine der Anlagen störte die philonische Halle, sondern die Erweiterung
des Bezirkes nach Süden diente strategischen Bedürfnissen oder für Nebenbauten.
Daß die Speicher damals aufgegeben wären, ist eigentlich weder bezeugt noch not-
wendig.

Trotz der Fülle des Neuen bilden die einleitenden Kapitel und die Anhänge nur
das Beiwerk zum Kern, der Darlegung der Gestalt des Mysterientempels im 5. Jh.
Wir sollten bisher glauben, daß Kimon den kleineren Tempel des Peisistratos zu
einem Saal von doppelter Länge bei gleicher Breite umgeschaffen und Iktinos einen
zweiten Saal von der gleichen Größe südlich angefügt hätte, worauf im 4. Jh. dieses
Doppelgebilde rein äußerlich durch die Vorhalle Philons verbunden worden wäre,
und daß erst die Antoninen 500 Jahre später einen einheitlichen Saalbau an seiner
Stelle errichtet hätten. Noack sah, daß es sich im 5. Jh. nicht lediglich um Stück-
werk und Notbauten handelt, sondern daß um eine große und einheitliche Lösung
gerungen wird: der alte Mysteriensaal soll auf das Vierfache der bisherigen Größe
gebracht werden. Die Konzeption des Gedankens gebührt dem Baumeister Kimons,
der bereits mit den gewaltigen Felsarbeiten begann, um dem Gelände den erforder-
lichen Platz abzuzwingen. Er plante einen Saal mit 49 Stützen (Abb. 47), von denen
9 ziemlich gleichmäßig in den Bereich des alten Saales fielen. Diese muß er auch
ausgeführt haben, was Noack nicht näher erläutert: drei standen auf den Tür-
schwellen der Front, drei andere auf der Flucht der Rückwand, die niedergelegt
worden war. Zwischen ihnen mußte eine provisorische Wand gebaut werden, und
damit war ein behelfsmäßiger Bau gewonnen, der ohne Mühe zu dem großen Saal
gezogen werden konnte, wenn er genügend weit gediehen war. Die beiden letzten
Reihen der Stützen sind an der Bergseite in der vollen Breite des Saales vor-
bereitet (Taf. 3), und damit ist der Umfang des Entwurfs bewiesen. Allein die
Ausführung stockte noch rund 50 Jahre. — Die andere wichtige Erkenntnis gibt
uns den Entwurf des Parthenonbaumeisters Iktinos, dem man bisher nur die linke
Hälfte zuschreiben wollte. Freilich hat er nur hier die Fundamente seiner Säulen
gebaut, aber auf ihn geht ferner noch der Aufbau der Frontwand in der Flucht
der pisistratischen Vorhalle und der Seitenwände in nicht zu bestimmender Höhe,
dazu aber noch das Fundament einer gewaltigen Ringhalle zurück, welche den Saal
von drei Seiten umfassen und breite Treppen zur rückwärtigen Felsterrasse
enthalten sollte, die dem Saal als hintere Halle diente (Taf. 9). Für die Kühnheit
des Architekten spricht mehr noch als die Erweiterung des Plans die wahrhaft
großzügige Innenteilung, die sich mit nur 20 Stützen in Abständen bis zu 10 m
begnügte. Noack lehrt uns hier den Pulsschlag der attischen Größe im Gedanken-
flug eines der größten Künstler Athens spüren, aber wir sehen auch hier wieder,
wie die beschränkten Verhältnisse selbst dieser Stadt die Verwirklichung der Pläne
durchkreuzte. Iktinos mußte zurücktreten, und seinen Nachfolgern fehlte der Mut
zur Durchführung. — Die dritte große Entdeckung Noacks ist die Erkenntnis, daß
der Bau nicht schlechthin bis in die spätrömische Zeit liegen blieb, sondern schon
bald zu einem provisorischen Abschluß gebracht wurde: wenn man auch zur Poly-
stylie zurückkehrte, so entstand doch ein Saal, den Plutarch mit Recht zu den
perikleischen Herrlichkeiten zählen durfte. Nach weiteren 100 Jahren ist dann noch
die Schmuckhalle, das philonische Prostoon, nach längerer Bauzeit vollendet worden,
allerdings nur in alter Weise an der Front (Taf. 17). Die antoninische Zeit brachte
nach einem vernichtenden Brand nur die genaue Wiederherstellung dieses Bau-
bestandes.
 
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