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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Frydmann, Richard: Vertikaleinfühlung und Stilwillen
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Vogel, Hans: Zur Methode der Geschichte des Kunstgewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0152
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BEMERKUNGEN.

auch eine weit über das Gebiet der Ästhetik oder der Kunstgeschichte hinaus-
ragende Bedeutung und wird dadurch geradezu zu einem Pharus auf dem heute
noch nachtdunklen Ozean mancher Gebiete der Kultur- und Geistesgeschichte.
Denn sie vermag der bisher angewendeten empirisch-intuitiven Methode, die der
archimedischen Punkte bedarf wie eines Bissens Brot, einen neuen, exakt nachweis-
baren und bisher viel zu wenig benützten festen Anhaltspunkt zu gewähren.

Zur Methode der Geschichte des Kunstgewerbes.

Von

Hans Vogel.

Eine gewisse Minderbewertung, die das Kunstgewerbe noch vielfach gegenüber
der Architektur, der Malerei und der Plastik rindet, hat es mit sich gebracht, daß
in der wissenschaftlichen Behandlung dieses Zweiges der Bildenden Künste eine
Betrachtungsweise herrschend geblieben ist, die in den Schwestergebieten längst
als unzureichend und dem Geiste neuerer Forschung nicht mehr entsprechend über-
holt wurde. D. h., die Geschichte des Kunstgewerbes steht heute methodisch noch
auf dem gleichen Standpunkt einer reinen „Stilgeschichte", den schon das 19. Jahr-
hundert vertrat und den Lehnert in der Einleitung zu der 1907 von ihm heraus-
gegebenen „Illustrierten Geschichte des Kunstgewerbes" mit folgenden Worten ge-
kennzeichnet hat: „Wenngleich die Geschichte des Kunstgewerbes in Wirklichkeit
eine ununterbrochene Kette bildet, in der uns nur aus älteren und ältesten Zeiten
noch manche Glieder fehlen, ... so erfordert doch ein so umfassendes Gebiet eine
Teilung in Zeitabschnitte ..." Deren „Trennung erfolgt aber ... nach Geschmacks-
richtungen, nach Stilen."

Im Wesen einer Methode, die das Nacheinander von Stilen als einziges ordnen-
des Prinzip der Geschichte kennt, liegt es, daß sie den Schwerpunkt der Darstel-
lung auf die stilistischen Gemeinsamkeiten legt, in denen die ihrem Wesen nach ver-
schiedenartigsten kunstgewerblichen Produkte im Laufe der Jahrhunderte auftreten.
Sie wird also zeigen, wie z. B. mit dem Aufkommen der Gotik keramische Geräte
eine ähnliche Veränderung in Form und Ornament durchmachen, wie etwa gleich-
zeitige Goldschmiedearbeiten, Textilien oder Bronzearbeiten; oder wie beim Über-
gang von der Renaissance zum Barock der Prozeß einer Auflösung der harmonischen
Form in der Glaskunst sich in ähnlicher Weise ausdrückt, wie etwa in der Möbel-
tischlerei, der Schmiedekunst oder in irgend einem Zweige sonst.

Über der Betrachtung des Gemeinsamen in der stilmäßigen Entwicklung aller
Einzelgebiete vernachlässigt diese Methode aber die wichtige Tatsache der ebenfalls
vorhandenen großen Verschiedenheit und Besonderheit im bloßen „Dasein" aller
Einzelzweige des Kunsthandwerks. Denn jedes kunstgewerbliche
Einzelgebiet hat eine eigene „Dasei n s 1 i n i e", ein besonderes
Auf und Nieder seines Ablaufs. Jedes beschreibt eine Kurve,
die von der Kurve aller andern verschieden ist. Niemals sind
alle Teilgebiete zugleich von derselben Bedeutung inner-
halb des Ganzen kunsthandwerklicher Produktion, sondern
sie verdrängen einander, gewinnen und verlieren gegen-
einander an Macht. Während eines eine Führerrolle spielt,
tritt dasandere zurück, undumgekehrt.

Schon die Einsatzpunkte, die Zeitpunkte also, in denen ein Produktionszweig
beginnt, künstlerisch eine Rolle zu spielen, liegen in sehr verschiedenen Zeiten. Ein-
zelne Produktionen, wie die Goldschmiedekunst, Elfenbeinschnitzerei und Textilkunst,
 
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