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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0194
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BESPRECHUNGEN.

trennt sie mit Entschiedenheit von der gesamten Aufklärung, mit der Kant durch
die Lehre vom Primat des Ethischen noch zusammenhängt." (S. 125.) Aber es ist
darüber hinaus zu betonen, daß die philosophische Systematik dabei nicht End-
zweck, sondern selbst nur wieder Ausdruck und Symptom einer seelischen Haltung
ist, die, über die Unterschiede der einzelnen philosophischen Systeme des 18. und
19. Jahrhunderts hinausgehend, eine grundsätzliche Wandlung im deutschen Geistes-
leben der letzten Jahrhunderte beginnt und repräsentiert.

Kiel. Melitta Gerhard.

Harry Slochower: Richard Dehmel, Der Mensch und der
Denker. Eine Biographie seines Geistes im Spiegelbild der Zeit. Dresden
1928. Carl Reißner. 289 Seiten.

Der Verfasser, wie es scheint, Amerikaner, ist von einer philosophischen und
philologischen Gründlichkeit, wie wir sie sonst als „deutsch" zu bezeichnen lieben.
Dies überwiegend philosophische Interesse birgt im vorliegenden Falle sogar seine
Gefahren, und nicht umsonst rechtfertigt sich Slochower selbst in der Einleitung,
daß er einen Dichter systematisch auf seine Weltanschauung hin seziere. Nun ist
unbedingt zuzugeben, daß eine so gedankenmächtige Persönlichkeit wie Richard
Dehmel zu solcher Untersuchung reizt, obwohl er selber gelegentlich davor ge-
warnt hat, aus Dichtwerken eine Weltanschauung des Dichters herauszulesen. Be-
sonders lyrische Dichtung vermittelt allerdings in erster Linie den lebendigen
Rhythmus des Schöpfers, seine Seelenstruktur und Erlebensform, nicht seine Phi-
losophie. Aber gerade Dehmel ist zu faßlichen Gedankenformeln durchgedrungen,
wenn sie auch nur gleichsam den Schaum auf der eigentlichen Lebenswoge bilden.
Bedeutend verstärkt hat Slochower den philosophischen Grundcharakter seiner Be-
trachtungsweise noch dadurch, daß er die für Dehmel wichtigen Probleme lange
Strecken durch die Geschichte der Philosophie hindurch verfolgt. So anregend und
lehrreich dies Verfahren ist, so bleibt es, vom Standpunkt der Philosophie aus ge-
sehen, doch wohl unbefriedigend, man wünscht noch mehr in die Tiefe zu gehen;
für eine bloße Betrachtung Dehmels aber stellt es eine übermäßige Belastung dar
und mindert die Geschlossenheit des Buches.

Der erste Hauptteil behandelt Dehmels Metaphysik, der zweite sein Weltbild.
Die Metaphysik legt in klarer Weise die Elemente offen, aus denen Dehmels recht
komplizierte Erscheinung sich aufbaut. Drei Kapitel formen das Seelenbild:

1. Das Urprinzip. Was für den alten Goethe das Urphänomen, für Plato die
Gestalt, das ist für Dehmel dies Urprinzip, die alles durchwaltende „große Sehn-
sucht ohne Ziel". Mit diesem motorischen, dynamischen Prinzip stellt sich Dehmel
an die Seite der Voluntaristen, die das Wesen der Welt als Wille, nicht, wie etwa
Spinoza, als Intellekt erkannten: Schopenhauer und Nietzsche. Von jenem unter-
scheidet unsern Dichter jedoch die Ablehnung der pessimistischen Konsequenz; die-
sem steht er näher als er selber, vielleicht infolge verfehlter Deutung des „Über-
menschen", zugeben wollte.

2. Hegelianismus. Damit meint Slochower im wesentlichen das dialektische Ver-
fahren, das aus Thesis und Antithesis zur Synthesis hinstrebt. Gerade im tief-
inneren Zwiespalt der Welt fühlt Dehmel die Kraft zur Überwindung wachsen.
Hier wird gelegentlich auch einmal Dehmels Lebensform, jenseits bloßer Gedanken
und Meinungen, ausgewertet, da nämlich, wo Slochower Dehmels paradoxe Aus-
drucksweise heranzieht. Schade, daß nicht auch Dehmels Symbole für das eigne
Wesen (oder, wenn man will: seine Wappentiere) genannt sind: Maulwurf und
Tagraubvogel, die eindringlich den Gegensatz in seiner Seele verkörpern.
 
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