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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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Trojan, Felix: Zur Psychologie der Farben bei Goethe
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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0254
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BEMERKUNGEN.

bild", „Wiederfinden", 1815). Gleichwohl kommt es hier zu keiner neuen symboli-
schen Idee. Wie sich in der späteren Dichtung' Goethes vielfach didaktische
Stücke rinden, worin die Grundgedanken seiner naturwissenschaftlichen Studien, be-
sonders auf dem Gebiete der Farbenlehre und der Meteorologie, ausgesprochen
sind, unterbindet auch sonst die Freude am Phänomen die Entwicklung einer neuen
großangelegten Symbolik der Farben. Um so wichtiger ist es, den Farbentheore-
tiker Goethe über die „Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe" sprechen zu hören1).
Der Grundgedanke dieser Lehre ist auf dem Gegensatze der gelben und der blauen
Farbe aufgebaut: Die Reihe Gelb, Rotgelb und Gelbrot steigere sich vom „sanft
Reizenden" zum „unerträglich Gewaltsamen", während die Reihe von Blau zu Blau-
rot anfangs durch „etwas Widersprechendes von Reiz und Nichts" gekennzeichnet sei.
Es ist erstaunlich, wie nahe Goethe in dieser Anschauung der Theorie He-
rings gekommen ist. In der qualitativen Bestimmung der grünen Farbe — und
damit auch der roten — war er, wie schon erwähnt — wenig glücklich. Das spürt
man auch in der symbolischen Ausdeutung dieser Farben, zumal bei Grün.

Der Fortschritt von den ungetönten Farben zu den getönten, der sich in die:
ser Zeit nicht allein bei Goethe vollzieht, sondern sich auf dem Wege von der
Frühromantik zur jüngeren Romantik auch sonst vielfach beobachten läßt, ist aus
der Entwicklung der Farbenphänomene in der älteren Lyrik Goethes durchaus
verständlich. Die allmähliche Aufhellung und Höherwertung der Dunkelseite, die
Ausdeutung der Gegensätze von Licht und Dunkel als schöpferischen Mächten, da-
zu die Beobachtung des Tiefenkontrastes, der mit auffallenden Farbenphänomenen ja
vielfach verknüpft ist — all das mag die endliche Erscheinung der getönten Farbe
vorbereitet haben. Dieselben Motive haben aber auch zugleich den Boden für die
Übernahme der N u g u e t sehen Theorie bereitet. Denn da der Gegensatz von Licht
und Schatten den eigentlichen Nerv der künstlerischen Farbendarstellung wie der Sym-
bolik bei Goethe bildet, ist es verwunderlich, wenn er sich auch im Theoretischen
auf die Seite einer Lehre schlug, die diesem Momente gleichermaßen Rechnung trug?

Daß Goethe die ältere Theorie gegen Newton zu verteidigen suchte, wäre
aus der Rolle, die der Kontrast in seinem Weltbilde spielt, allein schon verständ-
lich. Daß dieses Motiv allerdings nicht das einzige war, muß zum Schlüsse wohl
noch angeführt werden. Man lese nach, mit welch inniger Freude Goethe die
theoretischen Anläufe der griechischen Philosophen in dem „Historischen Teile"
der Farbenlehre darstellte, um zu begreifen, welcher Anteil der neuhumanistischen
Bewegung zufällt. Als negative Momente kommen ferner die Fehlerquellen beim
Experiment und die Mißverständnisse der Newtonschen Theorie in Betracht, Mo-
mente, auf die H e 1 m h o 11 z im einzelnen hingewiesen hat.

Wichtiger als all das ist freilich noch der erkenntnistheoretische Standpunkt
Goethes. Denn erst durch ihn wird verständlich, wieso ein- und dasselbe Prin-
zip — eben der Kontrast — der Lehre von den physiologischen wie der von den
physischen Farben zugrunde gelegt werden konnte. Wie Georg Simmel einmal
schön ausgeführt hat, bedeutet für Goethe die sinnliche Gestalt zugleich die un-
mittelbare Offenbarung der Idee. Umgekehrt wie in der anschauenden Intellektuali-
tät eines S c h e 11 i n g habe in seinem Weltbild die Sinnlichkeit eine intellektuelle
Funktion2). Aus dieser Grundanschauung wird zu allererst verständlich, warum der
Naturforscher Goethe die physiologische Lehre vom Kontrast auf die Theorie
von den physischen Farben zu übertragen sich gedrängt fühlen mußte.

1) Im Didaktischen Teil der Farbenlehre, 6. Abt.

2) Georg Simmel, „Goethe", 2. Aufl. Leipzig 1917. S. 51 und 53.
 
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