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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 24.1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.14171#0270
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254

BESPRECHUNGEN.

nungen und Geschehnisse, ferner durch die Geschichte ihrer eigenen Entwicklung im
Laufe der Jahrtausende, durch ihre Methode, durch ihr Verhältnis zur praktischen
Pädagogik im Altertum und Mittelalter, in der neueren Zeit und jüngsten Gegen-
wart, endlich durch ihre Eigenschaft als eine echte Wissenschaft überhaupt. Diese
Wechselwirkung zwischen Musikgelehrsamkeit und dem Humanitätsgedanken auf-
zeigend, machen die eindringlichen Darlegungen des Verfassers glaubhaft, daß die
Musik und Musikwissenschaft eine Angelegenheit der Menschlichkeit schlechthin ist.
Für das 16. Jahrhundert sei noch auf die Arbeiten von Paul-Marie Masson über
den musikalischen Humanismus hingewiesen.

Berlin. Herbert Biehle.

Hans Klotz, Neue Harmoniewissenschaft. Die Überwindung der
dualistischen Theorie. Die Tonwelt der kommenden Generationen. Universitäts-
verlag von Robert Noske in Borna-Leipzig 1927. 73 Seiten.

Im Anschluß an Cornelius will Klotz die musikalischen Gesetzmäßigkeiten aus
den allgemeinsten Faktoren unseres Erkenntnisvermögens überhaupt herleiten, will
er nicht nur geschichtliche Besonderheiten sondern, „wenn irgend möglich", unge-
schichtliche Allgemeinheiten erfassen. Das Zustandekommen aller Erfahrung grün-
det er auf einen von ihr unabhängigen, nicht weiter erklärbaren transzendentalen
Faktor. Alle Kunst ist ihm „Darbietung von Gestalten" in dem Sinn, daß das
Werk zwar relativ selbständige Teile in sich schließen kann, als ganzes aber eine
einzige, d. h. einheitliche Gestaltqualität besitzen muß, daß also alles, was nicht
prägnante Gestalt ist, wertlos bleibt und in einer musikalischen Komposition nichts
zu suchen hat. Demgemäß soll ein für künstlerische Zwecke bestimmtes Tonsystem
solche Töne in sich begreifen, die sich untereinander zu auffaßbaren Gestalten ver-
binden. Und die Prägnanz der Gestalt oder die künstlerische Gestaltqualität oder
der „Inhalt" des Geschaffenen ist nicht gleich der Summe der den verwendeten
Einzel-Tönen eigenen Qualitäten, sondern bedingt durch die Art ihrer wechselseitigen
Beziehungen, so daß atonale Musik in der absoluten Bedeutung von vornherein gar
nicht als Kunst betrachtet werden kann. Die Frage nach den Bedingungen der künst-
lerischen Prägnanz der Tongestalt ist somit eine durchaus andere als die nach der
Möglichkeit einer Identifikation von Einzeltönen. Sie weist auf jenen immer wieder
gesuchten Punkt, wo — wie schon Aristoxenos sagte — dem Ohr die Entscheidung
zufallen muß, oder — noch besser — dem durch das Ohr bedienten künstlerischen
Urteil, auf jenen Punkt, der in Worten (Begriffen) so wenig erschöpfend mitzu-
teilen ist wie der Duft einer Blüte. Wie will man ohne Berufung auf dies Moment
jene ganz besondere „Relationsfärbung" erklären, die es mit sich bringt, daß der
Ton e in C-Dur „anders" klingt als in E-Dur, obwohl er beide Male — abgesehen
von jenem Zusammenhang — durchaus die gleichen Qualitäten besitzen kann und
in Hinsicht der Tonhöhe besitzen muß? Aus welchen anderen als geistigen, in der
Person und Eigenart des Künstlers, seiner Rasse oder Nation begründeten Fak-
toren ist es zu verstehen, daß der Weg, den die Praxis zu verschiedenen Zeiten
und O/ten ging, durchaus nicht immer die gleichen Entwicklungsschritte aufweist
und die erzielten Resultate keineswegs überall die gleichen sind?

Zielt Klotz mit alledem offenbar auf eine inhaltlich idealistische Grundlegung,
so lehnt er doch zugleich jede metaphysische Deutung im Prinzip unbedingt ab,
sucht in den Tongestalten eine Funktion der Verhältnisse von Schwingungsfrequen-
zen, gründet ihre größere oder geringere Prägnanz auf rechnerische Momente und
auf eine bestimmte Übung des Subjekts, legt den ganzen Nachdruck auf das Unter-
scheiden und Wiedererkennen, auf die Natürlichkeit, läßt unser temperiertes System
 
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