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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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Kampmann, Wanda: Goethes "Propyläen" in ihrer theoretischen und didaktischen Grundlage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0045
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Goethes „Propyläen" in ihrer theoretischen
und didaktischen Grundlage.

Von

Wanda Kampmann.

I.

Als Goethe in den Jahren 1798—1800 in gemeinschaftlicher Arbeit
mit Schiller und Heinrich Meyer eine Zeitschrift für bildende Kunst her-
ausgab, wollte er durch die Zusammenfassung seiner seit Italien ent-
wickelten künstlerischen Ideen eine Kunstlehre begründen helfen, das
Fundament einer normativen Ästhetik schaffen, obwohl der weitgespannte
historische Blick Herders bereits die Vielfältigkeit der Kunsterscheinun-
gen unter allen Völkern und Zeiten und damit die Relativität des Schön-
heitsbegriffes entdeckt hatte. Als ein rückschauendes, schon zur Zeit seines
Erscheinens seltsam altertümliches Werk werden wir die „Propyläen"
auffassen müssen, es wird aber dann in einer tieferen Schicht der ge-
danklichen Grundlage die geheime Verwandtschaft mit der doktrinären,
alles Technische und Lehrbare überschätzenden Theorie der Antike und
Renaissance sichtbar werden. Die Anschauungen der „Propyläen" sind
voller Tradition im edelsten Sinne. Goethe hatte in einer langen Entwick-
lung seines künstlerischen Sehens für sich diese Tradition wieder lebendig
machen können, den Zeitgenossen aber mußte die begriffliche Starrheit,
die Betonung des Könnens und Wissens, die humanistische Lehrhaftigkeit
wesensfremd und feindlich erscheinen. In diese „Vorhöfe" der Kunst
wollte niemand zu Aussprache und Gedankentausch eintreten. Man hat
deshalb Goethes zeitfremde Kunstlehre auch ein Selbstgespräch genannt,
das keinerlei Anspruch auf allgemeines Interesse erheben dürfe.

Für Goethe selbst sind die „Propyläen" der Höhepunkt und Schluß-
punkt einer Entwicklung, die während der italienischen Jahre begonnen
hatte. Das Fundament ist die im Süden gewonnene klassische Sehform,
eine höchste Ausbildung der optischen Begabung, verbunden mit dem
Sinn für das Typische, im Wechsel der Erscheinungen Beharrende, für
das, was er unbedingt groß nannte. Der Blick für die Gesetzmäßigkeit
aller organischen Bildungen verleitet ihn, auch im Gestaltenreichtum der
bildenden Kunst die Norm aufzusuchen, und er glaubt erkannt zu haben,
 
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