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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0073
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Besprechungen.

Victor Bäsch: Essai critique sur l'esthetique de Kant. Nou-
velle edition augmentee. L und 634 Seiten; 1927. Paris, Librairie Philosophique
J. Vrin.

Dem erfreulichen und bemerkenswerten Umstand, daß dieses fast 700 Seiten
umfassende und in schwerster Gelehrsamkeit geschriebene Werk des hervorragen-
den, auch in Deutschland hochgeschätzten französischen Ästhetikers in einer ver-
mehrten zweiten Auflage erscheinen konnte, darf man das unverminderte Interesse ent-
nehmen, das auch in Frankreich der kritischen Philosophie entgegengebracht wird.
Zwar ist Bäsch, bei aller Verehrung für Kant, kein eigentlicher Kantianer; ver-
tritt er doch unter Ablehnung der transzendentalen Methode den Standpunkt einer
psychologischen Ästhetik, und er tadelt es als einen Mangel der kritischen
Ästhetik, daß sie die Lehre vom Schönen nicht in der psychologischen Unter-
suchung der Erlebniszustände des künstlerisch schaffenden und künstlerisch genie-
ßenden Subjekts verankert habe. Diese psychologische Betrachtungsweise übt auch
eine leitende Einwirkung auf die ■— übrigens sehr lehrreiche — Beleuchtung der
geschichtlichen Voraussetzungen für die Ästhetik Kants, die Bäsch ganz nahe an
die Ästhetik von Leibniz heranrückt. Gilt ihm die kantische Leistung doch über-
haupt im wesentlichen als ein Ergebnis der französischen und der englischen
Ästhetik des 18. Jahrhunderts, die mit ihren Untersuchungen über das Gefühl und
mit ihrer Lehre von der harmonischen Verfassung der Welt Kant alle Bedingungen
und Bausteine für seine Ästhetik geliefert habe. So erscheint Kant hier als ein
Epigone und als ein Eklektiker, dem die rechte Originalität mangele.

Die Darstellung der kantischen Ästhetik selber folgt nicht der kantischen Ein-
teilung, sondern entwickelt sich in folgender Anordnung: die Methode, die Theorie
des Gefühls, die Theorie der reflektierenden und der ästhetischen Urteilskraft, die
Lehre vom ästhetischen Gefühl im besonderen, die Lehre vom Genie, von den
schönen Künsten, vom Schönen und seinen Modifikationen. Die Darstellung ist
überall mit einer Kritik verwebt, die an Kant die viel zu geringe Berücksichtigung
des psychologischen Tatbestandes tadelt. Die transzendentale Methode sei ein
Geschöpf des kantischen Rationalismus, die jenen Tatbestand unheilbar vergewal-
tige; sie stütze sich auf unhaltbare Postulate, auf die unbewiesene und unbeweis-
bare Annahme eines ästhetisch reinen Bewußtseins und eines ästhetischen Apriori;
eine solche Annahme sei jedoch ein „acte de foi en la raison". Darum sei Kant
auch mehr Dogmatiker als Kritiker, wobei Bäsch unter Kritik und Kritizismus
offenbar den von ihm eingenommenen Standpunkt der empirischen Psychologie ver-
steht. Und von dieser Einstellung aus erhebt er nun gegen Kant eine große Reihe
von Einwänden, die von den Vertretern einer psychologisch orientierten Ästhetik
schon seit jeher vorgebracht worden sind, die aber immer aufs neue zeigen, daß
die Grundlage dieser Einwände ein fundamentales Mißverstehen der ganzen kan-
tischen Fragestellung und Methode ist. Denn Kant will ja gar nicht eine psycho-
logische Untersuchung des künstlerischen Erlebens und Fühlens geben, wenngleich
 
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