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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0330
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316

BESPRECHUNGEN.

der Sache prägt, statt der vielen Worte und Gleichnisse, die alle Ansichten auf-
fangen möchten? Muß der Betrachtende nicht entsagen können, weil seine Aufgabe
ist, ein Lebendiges aus der Ebene des Seins auf die des Verstandenseins zu proji-
zieren? Wer, wenn auch mit weit schwächeren Kräften und nicht unbeeinflußt von
Gundolf, mit der Aufgabe gerungen hat, dichterische Wirkung zu beschreiben,
kann vielleicht von den Lockungen und Irrwegen solcher Versuche ein Lied singen.
Er wird die Leistung dieses Buches sehr hoch schätzen, doch eine noch höhere For-
derung stellen, die vielleicht nur sein Verfasser erfüllen kann. Denn nur der weiß
fruchtbar zu entsagen, der so reich besitzt.

Berlin. Helene Herrmann.

Sabin V. Dragoi: 303 colinde cu text si melodie [303 Weihnachtslieder mit
Text und Melodie], Craiova (o. J.). Scrisul Romänesc. L und 265 S.
In den transsilvanischen Gebieten, aus denen die Lieder der Sammlung Dragois
stammen, aber auch in anderen Teilen Rumäniens ist es noch heute ein eifrig
geübter Brauch, daß Jünglinge und — unter Herumtragen eines festlich ge-
schmückten „Sternes" — auch Kinder am Heiligen Abend oder an den Weihnachts-
tagen von Haus zu Haus ziehen und „colinde", Weihnachtslieder, singen.

Christi Geburt, episch oder lyrisch, im Anschluß an die biblische Erzählung
gestaltet, bildet nur bei der (auch stilistisch und musikalisch moderneren) Gruppe
der „cäntece de s t e a", der „Sternlieder" einen bevorzugten Gegenstand1); aber
auch diese neueren Gesänge verlassen den eigentlichen Weihnachtskreis und ver-
weilen des öftern bei biblischen Geschehnissen, die allerdings für den Christen
naheliegen: bei der Verstoßung aus dem Paradies, bei der Erlösung des
Menschengeschlechts durch Christi Opfertod, beim Jüngsten Gericht. Die
archaischeren, einen eigenen rumänischen Kunststil entwickelnden, eigent-
lichen „colinde" aber schließen sich fast überhaupt nicht an die Bibel an. Das
Religiöse gestalten sie überwiegend in der Form von eigenartig kühnen, vom
Kirchlichen manchmal bis zum Gegensatz sich entfernenden Legenden um Christus,
die Gottesmutter, die Heiligen Nikolaus, Peter, Elias (den alttestamentlichen Pro-
pheten), ja um sonderbare Heiligenfiguren wie den „Sfäntul Craciun" (das Weih-
nachtsfest, in der Gestalt eines Heiligen personifiziert) und die „Sfänta Duminica"
(den Sonntag — rumänisch Femininum — als weibliche Heiligenfigur); oft genug
gehen sie aber auch zu rein weltlichen Stoffen über. In ,,Kolinden"-Form kann
fast jeder übliche Volksliedstoff erscheinen' — D.s Sammlung bietet u. a. vier
neue Varianten der vielleicht schönsten rumänischen Volksballade, der „Mioritza"2) —;
im Vordergrunde stehen aber doch siegreich bestandene Jagdabenteuer, etwa der
Kampf mit dem Löwen, wobei männlicher Mut und Tapferkeit verherrlicht werden;
vor allem aber werden Liebesgeschichten, Brautwerbung und Hochzeit mit unverkenn-
barer Vorliebe behandelt. Weihnachten spricht ja nicht nur als Verherrlichung der
Geburt des Messias zum religiösen Empfinden des rumänischen Bauern, Weih-
nachten bedeutet für ihn auch das Ende der harten Adventsfastenzeit und den
ersehnten Beginn einer neuen Epoche der Weltfreude, wo Schmaus und Tanz und
allerlei Geselligkeit erlaubt sind und wo für . den jungen Bauern, den die Wirt-
schaft im Winter wenig braucht, die eigentliche Zeit der Brautwerbung und
Heirat anhebt.

!) Ähnliche „Sterndreherlieder" aus Deutschland sind z. B. bei Erk-Böhme,
Deutscher Liederhort, Nr. 1194—1203 abgedruckt.

2) S. Nr. 23, 58, 156, 183; die bekannteste Fassung dieser Ballade wird bei
H. Tiktin, Rumänisches Elementarbuch, S. 180 f. mitgeteilt.
 
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