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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Flechtner, Hans Joachim: Das Berufsproblem in der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0191
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BEMERKUNGEN.

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1. seinen Charakter und seine menschlichen Eigenschaften,

2. seinen Beruf, und

3. die wechselseitige Einwirkung von Charakter und Beruf.

Der eine formt durch die Kraft und Reinheit seiner menschlichen Eigenschaften
seinen Beruf, veredelt ihn — oder aber er zieht ihn herab. Der andere dagegen wird
durch seinen Beruf in seinem Charakter verändert. Durch die Lagerung des künstle-
rischen Schwerpunktes in eine dieser Schichten entstehen die verschiedenartigsten
literarischen Stoffe:

I. Der Beruf ist gleichgültig oder zufällig:

Der Schwerpunkt der dichterischen Gestaltung liegt im Charakter des Helden.
Sein Beruf, soweit er ausgeführt wird, dient lediglich dazu, einen Rahmen für die
dichterische Handlung zu bieten. Der Verfasser wird wenig Wert auf das Typische
in der Berufsschilderung legen, er wird vielmehr sein Augenmerk auf fesselnde
Kleinigkeiten richten. Er übt dabei im Grunde die Arbeit eines Regisseurs, — einen
naturwahren, überzeugenden Handlungsrahmen zu schaffen. Interessant ist als Bei-
spiel für die Gruppe Shaws: Arzt am Scheidewege. Würde man die Vorrede
nicht kennen, die hier wirklich das Wichtigste ist (Shaw selbst nennt selbstironisie-
rend das Stück „einen Vorwand", um die Vorrede zu schreiben), so schiene das
ganze Arztmilieu nur zu dem Zweck geschaffen, bissige Seitenhiebe auszuteilen. Der
Kampf um die Frau des Malers steht mit dem Milieu nur in losem Zusammenhange.
Denn das dort schlummernde Berufsproblem (der Arzt läßt einen Kranken sterben,
weil er dessen Frau begehrt) ist durch die starke Karikierung beiseite geschoben.

II. Der Beruf ist Ausdruck des Charakters:

Hier sind wir einen Schritt weiter gelangt. Der Beruf des Helden ist nicht mehr
belanglos, dient auch nicht zur Milieugestaltung, sondern er ist Kriterium des
Charakters. Man vergleiche die beiden Hauptpersonen aus Romain Rollands
»Wölfen". Daß Professor Teulier Mathematiker ist, ist nicht Zufall oder Spielerei
des Dichters, sondern ist — streng genommen — bereits seine ganze Charakterisie-
rung: sachliche Überlegenheit, rein logisch — sachliches Rechtsempfinden. Sein
Gegner Verrat, der Schlächter, ist durch diese Angabe seines früheren Berufes
ebenso klar gekennzeichnet: Brutale Kraft, Draufgängertum, aufdringliches Ge-
haben. Natürlich liegen in diesem Fall nicht etwa Identifizierungen vor. Verrat ist
nicht der Typus des Schlächters, sondern umgekehrt: er mußte seiner Natur nach
einen derartigen Beruf ergreifen. So wird die Angabe des Berufes, die an sich in
diesem Stücke sonst keinerlei Bedeutung hat, Ausdruck des Charakters.

Ähnlich liegen die Verhältnisse inW. Hegelers: Ingenieur Horstmann. Der
Held dieses Werkes gehört seiner Natur nach in die Welt der dröhnenden Niethäm-
mer und rasselnden Krane, in die Welt aus Stahl und Feuer. Und Karl Haupt-
manns: Ismael Friedmann kann in seinem übersteigerten Ästhetentum kaum aus
einem anderen Milieu begriffen werden, als aus dem Leben des Privatgelehrten, der
den materiellen Sorgen enthoben ist.

HI. Der Beruf wird zu einem wesentlichen Moment in der
Handlung:

Es handelt sich hier um Probleme, die nur in gewissen Berufskreisen möglich
und verständlich sind, ohne daß man bereits von eigentlichen Berufsproblemen
sprechen kann. Die Problematik erwächst nicht aus dem Beruf als solchem, sondern
zieht nur ihre Lebenssäfte aus diesem Boden. Ein Beispiel mag das Gemeinte ver-

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