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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0230
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216

BESPRECHUNGEN.

So heißt es auch in der vorliegenden neuen Schrift: „Die Erforschung- der Syn-
ästhesien erfaßt bestimmte psychische Zusammenhänge, die in gleicher Weise kaum
durch andere Methoden greifbar sind. Insbesondere liefern sie optische Nieder-
schläge latenter Prozesse und Tatbestände. Die Synästhesien eröffnen Einblicke in
die vielgestaltigen Mittel und Wege, durch die entweder in rein individueller oder in
allgemeingültiger Form Erkenntnisse entstehen. Eben damit zeigen sie u. U. mannig-
fache Quellen menschlicher Täuschung und menschlichen Irrtums" (S. 103).

Alles in allem wird also hiermit eine Empfindungsweise zu einer Er-
kenntnisquelle — einerlei welchen Ranges. Und das ist es gerade, was auch
von den sog. okkulten Erkenntnisquellen, insbesondere vom „Hellsehen", behauptet
wird: hier wird von empfundenen Erkenntnissen berichtet, von einer „Schau" im
Sinne tatsächlichen Sehens. Unter dem „zweiten Gesicht" dürfte in diesem Sinne
wohl überhaupt die (optische) Synästhesie zu verstehen sein. Das Sehen von Per-
sonen in Farben, wie es bei Reimpell so stark entwickelt ist, ist von der Synästhesie-
Forschung schon lange beobachtet worden, besonders an hysterischen Frauen3);
ebenso die „Gefühlschromatismen" (Wallaschek*)), die dem zweifellos nahestehen.
Hier ist der Zusammenhang mit den sog. Auren der Hellseher besonders auffällig,
wie z. B. auch Steiner sie beschreibt"'). So sehr sich also eine Gleichsetzung zwischen
„Hellsehen" und komplexer optischer Synästhesie aufdrängt, so ist gleichwohl durch
eine solche „Erklärung" des Hellsehens sein allfälliger Erkenntniswert noch nicht
grundsätzlich ausgeschlossen. Im Gegenteil wäre er hierdurch in gewissem, aller-
dings sehr bescheidenem Grade verbürgt.

Eine Klärung dieser vielen für Psychologie und Kulturwissenschaft gleich be-
deutenden Zusammenhänge der synästhetischen Erscheinungen ist gerade von A.s
Fortarbeit auf dem so erfolgreich eingeschlagenen Wege zu erhoffen. Der vor-
liegende neue Beitrag bedeutet in seinem Beziehungsreichtum einen Markslein auf
diesem Wege: man kann sagen, daß das Ziel den daran gewendeten Aufwand an
Fleiß und methodischer Arbeit nicht bereuen läßt.

Wien. Albert Wellek.

Lothar Brieger: Das Frauengesicht der Gegenwart. Enke,
Stuttgart 1930. 145 Seiten. 16 Textabbildungen und 71 Bildtafeln. Geh.
RM 10.—, gebd. RM 12.—.

Die Ausprägung der vorherrschenden Eigenschaften einer Epoche nach den Ge-
sichtspunkten der männlichen Aktivität, der individuellen Verschiedenheit und Gei-
stigkeit (=: charakterisierende Eigenschaften) oder der weiblichen ausgleichenden
Schönheit und gegenseitigen Anpassung (= typisierende Eigenschaften) läßt sich
aus zeitgenössischen Bildnissen, aus der Darstellung des geistgeformtesten Körpers,
des menschlichen Antlitzes, ableiten, wenn auch das Gefühlsmäßige dabei eine ge-
Farbe-Ton-Forschungen, I, S. 65. Vgl. ferner ebenda S. 206 Pkt. „n", und Kurze
Einführung, S. 23.

s) Siehe z. B. R. Wallaschek, Psychologie und Pathologie der Vorstellung,
Leipz. 1905, S. 168; K. Lenzberg, Zur Theorie der Sekundärempfindungen usw., Z.
f. angewandte Psychologie, XXI, 1923, S. 280 und anderwärts.

<) a.a.O. S. 165 und 168.

5) Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten? Berlin 1922, S. 12.
 
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