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MORITZ STOCKHAMMER.
müßte als systematischer Ausgangspunkt vorangestellt werden"8). Die
volle Klarheit brachte aber erst Kelsen: „Die Erlassung eines Geset-
zes ... seine Aufnahme und Befolgung, sind zweifellos seelische Pro-
zesse ... Indes kommt es für eine auf das Wesen des Staates gerichtete
Betrachtung nicht auf die ... seelisch-körperlichen Prozesse,
sondern auf den geistigen Inhalt an, den diese Prozesse „tragen".
So wie das Denken mathematischer oder logischer Gesetze ein psychi-
scher Akt, darum aber der Gegenstand der Mathematik oder Logik —
das Gedachte — kein Psychisches, keine mathematische oder
logische „Seele", sondern ein spezifischer geistiger Sachgehalt
ist, weil die Mathematik und Logik von dem psychologischen Faktum
des Denkens solchen Inhaltes abstrahiert: So ist der Staat, als Gegen-
stand einer spezifischen, von der Psychologie verschiedenen Betrachtung,
ein spezifischer geistiger Gehalt, nicht aber das Faktum des Denkens
und Wollens solchen Inhaltes, ist er eine ideelle Ordnung, ein spezi-
fisches Normensystem, nicht aber das Denken und Wollen dieser
Normen")."
Mit Hamanns auch nur anhangsweisen und vorsichtigen Zu-
lassung einer zum Unterschiede von der allgemeinen — eben speziellen
Psychologie in der ästhetischen Untersuchung zieht bereits die metho-
dologische Unsicherheit ein. Die Verunstaltung und Denaturierung des
Ästhetischen, das Ausgleiten ins Psychologische vollzieht sich in typi-
scher Form: „Wir beginnen ... mit einer vorläufigen Bestimmung des
Ästhetischen. Diese kann sich, da die Beschaffenheit der ästhetisch
wirksamen Gegenstände, als das objektiv Ästhetische, viel zu mannig-
faltig ist, als daß wir es vorläufig ohne eingehende Untersuchung ab-
grenzen könnten, nur auf die Wirkung des ästhetischen Gegenstandes auf
das Subjekt, das subjektiv Ästhetische beziehen ... Unsere Aufgabe
spitzt sich also dahin zu, festzustellen, durch welche besonderen Merk-
male das ästhetische Lustgefühl bzw. sein Gegenstand gegenüber anderen
Lustgefühlen (bzw. anderen Gegenständen) charakterisiert ist"10). Aber
dieser Rollentausch ist ein wahres Verhängnis. Es ist höchst bezeichnend,
wie Ziehen zuerst den Gegenstand gegenüber dem Subjekt pronon-
ciert, dann aber das Verhältnis umdreht. Und tatsächlich vergißt Ziehen
über seinen ästhetisch irrelevanten, haarspalterischen psychologischen
8) Richard Hamann, Besprechung von E. Meumanns „System", Litera-
risches Zentralblatt 1914. — Wie wir später sehen werden, war Hamann drei
Jahre vorher in seiner „Ästhetik" noch Psychologist.
°) Staatslehre S. 13 f. — Man beachte, wie in den von uns herangezogenen
Zitaten mit den gleichen Gedanken auch der gleiche sprachliche Ausdruck wieder-
kehrt.
10) Theodor Ziehen, Vorlesungen über Ästhetik, 1923. S. 6.
MORITZ STOCKHAMMER.
müßte als systematischer Ausgangspunkt vorangestellt werden"8). Die
volle Klarheit brachte aber erst Kelsen: „Die Erlassung eines Geset-
zes ... seine Aufnahme und Befolgung, sind zweifellos seelische Pro-
zesse ... Indes kommt es für eine auf das Wesen des Staates gerichtete
Betrachtung nicht auf die ... seelisch-körperlichen Prozesse,
sondern auf den geistigen Inhalt an, den diese Prozesse „tragen".
So wie das Denken mathematischer oder logischer Gesetze ein psychi-
scher Akt, darum aber der Gegenstand der Mathematik oder Logik —
das Gedachte — kein Psychisches, keine mathematische oder
logische „Seele", sondern ein spezifischer geistiger Sachgehalt
ist, weil die Mathematik und Logik von dem psychologischen Faktum
des Denkens solchen Inhaltes abstrahiert: So ist der Staat, als Gegen-
stand einer spezifischen, von der Psychologie verschiedenen Betrachtung,
ein spezifischer geistiger Gehalt, nicht aber das Faktum des Denkens
und Wollens solchen Inhaltes, ist er eine ideelle Ordnung, ein spezi-
fisches Normensystem, nicht aber das Denken und Wollen dieser
Normen")."
Mit Hamanns auch nur anhangsweisen und vorsichtigen Zu-
lassung einer zum Unterschiede von der allgemeinen — eben speziellen
Psychologie in der ästhetischen Untersuchung zieht bereits die metho-
dologische Unsicherheit ein. Die Verunstaltung und Denaturierung des
Ästhetischen, das Ausgleiten ins Psychologische vollzieht sich in typi-
scher Form: „Wir beginnen ... mit einer vorläufigen Bestimmung des
Ästhetischen. Diese kann sich, da die Beschaffenheit der ästhetisch
wirksamen Gegenstände, als das objektiv Ästhetische, viel zu mannig-
faltig ist, als daß wir es vorläufig ohne eingehende Untersuchung ab-
grenzen könnten, nur auf die Wirkung des ästhetischen Gegenstandes auf
das Subjekt, das subjektiv Ästhetische beziehen ... Unsere Aufgabe
spitzt sich also dahin zu, festzustellen, durch welche besonderen Merk-
male das ästhetische Lustgefühl bzw. sein Gegenstand gegenüber anderen
Lustgefühlen (bzw. anderen Gegenständen) charakterisiert ist"10). Aber
dieser Rollentausch ist ein wahres Verhängnis. Es ist höchst bezeichnend,
wie Ziehen zuerst den Gegenstand gegenüber dem Subjekt pronon-
ciert, dann aber das Verhältnis umdreht. Und tatsächlich vergißt Ziehen
über seinen ästhetisch irrelevanten, haarspalterischen psychologischen
8) Richard Hamann, Besprechung von E. Meumanns „System", Litera-
risches Zentralblatt 1914. — Wie wir später sehen werden, war Hamann drei
Jahre vorher in seiner „Ästhetik" noch Psychologist.
°) Staatslehre S. 13 f. — Man beachte, wie in den von uns herangezogenen
Zitaten mit den gleichen Gedanken auch der gleiche sprachliche Ausdruck wieder-
kehrt.
10) Theodor Ziehen, Vorlesungen über Ästhetik, 1923. S. 6.