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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Groethuysen, Bernhard: Die "naturalistische" Ästhetik und die zeitgenössische Literatur in Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0269
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DIE „NATURALISTISCHE" ÄSTHETIK.

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zeichnenden Ausdruck in den vormarxistischen sozialistischen Systemen.
Doch läßt sich auch diese Tendenz nicht auf bestimmte systematisch fixier-
bare Vorstellungsweisen einschränken. Vielmehr handelt es sich um eine
Gesamtheit von Motiven, die sich etwa unter der Allgemeinvorstellung
von sozialer Haltung, Hinwendung zum Volke usw. zusammenfassen
lassen.

Das Wesentliche ist aber hier zunächst, daß sowohl die Wissenschaft- '
liehe, wie die soziale Einstellung Wertgesichtspunkte darstellen, die ge-
wissermaßen von außen her in den Wertbestand künstlerischen Schaffens
eindringen. Wie nun die neuen Werte in Beziehung treten zu den imma-
nenten Werten, die dem künstlerischen Schaffen, und zwar dieser be-
stimmten Zeit eigen sind, stellen sich verschiedene Probleme. Dabei
nimmt diese Problematik auf den verschiedenen Gebieten der Kunst einen
nur aus den Grundbedingungen der verschiedenen Kunstgattungen und
ihrer besonderen Lage verständlichen Charakter an. Die bildende Kunst,
das Drama, der Roman, haben ihre gattungsmäßig bestimmte innere
Problematik. Wie verhalten sich zu dieser Problematik die zunächst
außerkünstlerischen Werte, die nun auf dem ästhetischen Gebiete zur
Darstellung gelangen und sich dort verwirklichen sollen? Oder anders
ausgedrückt: Was kann der bildende Künstler, der dramatische Dichter,
der Romanschriftsteller mit den neuen Theorien anfangen? Welches sind
die Mittel, die ihm auf Grund der bereits ausgebildeten künstlerischen
Verfahrungsweisen zur Verwirklichung der neuen Werte zur Verfügung
stehen? Welches sind die produktiv verwertbaren Lösungen oder Hin-
weise, die solche Werte darbieten können? Welches ist schließlich der
künstlerische Ertrag der Transposition wissenschaftlicher und ethisch-
politischer Werte auf das ästhetische Gebiet? Dies scheinen mir vor
allem die grundsätzlich wichtigen Fragen der naturalistisch-realistischen
ästhetischen Theorien auf dem Gebiete der Kunst zu sein.

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir nun die verschiedenen
Gebiete künstlerischen Schaffens gesondert behandeln.

Am geringsten scheint mir die Bedeutung der „naturalistischen"
Ästhetik für den bildenden Künstler in Frankreich zu sein. Realismus
oder Naturalismus besagen ihm wenig. Es gibt in diesem Sinne eigent-
lich kaum eine „naturalistische" Kunst in Frankreich, oder wenigstens
läßt sich mit diesem Ausdruck in künstlerischer Hinsicht kein irgend-
wie die moderne Entwicklung der Kunst einheitlich kennzeichnender
Bereich malerischen Schaffens umschreiben. Wenn man von naturalisti-
scher Malerei in Frankreich spricht, so denkt man zunächst an Courbet.
Aber schon hier erweist sich diese Bezeichnungsweise als ungenügend,
sowie man damit das Gesamtwerk oder überhaupt die spezifisch künst-
lerische Leistung Courbets kennzeichnen will. Nun aber handelt es sich
 
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