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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 26.1932

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Gesellschaft für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14167#0403
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BERICHT ÜBER DIE VERANSTALTUNGEN 1931/32.

dringen. Wichtiger ist dem Redner seine Auffassung des Raums als allgemein-
stes Gestaltungsgesetz. Vier Momente machen das Phänomen der räumlichen Ge-
stalt überhaupt möglich; 1. der Empfindungs- bzw. Qualitätsunterschied ergibt den
dimensions- und richtungslosen Raum der Sensation, 2. die Grenze zwischen zwei
Qualitäten ergibt den Körper, 3. Hohl- und Umraum umgibt diesen, 4. die Syn-
these von Körper und Hohlraum ist die Struktur. Das Gestalterkennen bewegt
sich zwischen Individualisieren und Kollektivieren. Auf dieser Grundlage erstrebt
nun Löwitsch eine „dialektische Morphologie". Er versucht eine praktische Aus-
wertung seines Systems für Festsetzung und Erklärung der möglichen Gesell-
schaftsformen und gibt politische Ausblicke. Aus der Auffassung der vier Stufen
des Raumempfindens als vier Verwirklichungsetappen glaubt er endlich auch eine
Philosophie des Raums entwickeln zu können. — Privatdozent Dr. Kuhn erblickt
eine Fülle von Schwierigkeiten in dem entworfenen System: die vier angenomme-
nen Etappen sollen erschöpfend sein. Die Empfindungen als Gegebenes sind ein
Grenzbegriff, dessen Fragwürdigkeit die Psychologie aufzeigt. Das System ge-
stattet nicht die Durchführung konkreter Beispiele; wie kann man den Renais-
sanceraum unter die vier Gestaltkategorien bringen, wie die ostasiatische Malerei?
— Herr Segall bemängelt das Übersehen der Tatsache, daß der Raum durch neue
konstruktive Möglichkeiten immer weiter geöffnet worden ist. „Körper" und
„Hohlraum" reichen als Unterscheidungsprinzip nicht mehr aus. — Professor
Bartok weist zur Bekräftigung auf das gegenwärtige Streben hin, Innenraum und
Außenkörper gleichzeitig zum Erlebnis zu bringen, was zur Aufreißung der Räume
durch Anwendung von Glaswänden führt. — Dipl.-Ing. Löwitsch will seine vier
Begriffe als Grenzbegriffe und als Näherungswerte angesehen wissen. Die Be-
schreibung der historischen, der Renaissance-, gotischen etc. Räume ist Sache der
Morphologie.

Dr. Max D e r i betrachtete „Die Renaissancekunst als soziologisches Faktum"
in einem Lichtbildervortrag, der am Freitag, dem 15. Januar 1932, im Hörsaal
163 der Universität stattfand. In der Betrachtung eines Kunstwerkes muß man
vier Schichten unterscheiden, die phänomenale, in der das unmittelbar Wahrgenom-
mene einfach beschrieben wird, die psychologische, in der es sich um das dem
Künstler selbst Bewußte handelt, die soziologische, in der das der Gemeinschaft
Bewußte untersucht wird, und die analytische, in der alle unbewußten Elemente
aufzudecken sind. Dieser Vortrag solle sich allein mit der dritten Schicht,
der soziologischen, beschäftigen. Als Beispiel möge die verhältnismäßig übersicht-
liche Epoche der Renaissance dienen. Das Mittelalter ist ursprünglich feudali-
stisch-klerikal. Später, als sich das Schwergewicht vom Ackerbau auf den städti-
schen Handel verschiebt, wird aus dem verarmenden alten Grundadel ein deka-
dentes Rittertum, das zu einem gewissen Teil sehr gepflegt ist. Diese Schicht
bleibt noch lange der eigentliche Träger der Kultur. Die Kunst der gotischen
Epoche wird daher immer dünner, zerbrechlicher, graziöser, ausweichender. Am
Beginn des 14. Jahrhunderts übernimmt in Florenz, der Stadt der reichen Kauf-
leute und päpstlichen Bankiers, ein lebenstüchtiges und energisches Bürger-
geschlecht die wirtschaftliche, politische und kulturelle Führung. Die kapitalistische
Wirtschaft beginnt ihre gesellschaftliche Form zu finden. Größter Repräsentant
dieser beginnenden Epoche künstlerischer Persönlichkeiten ist Giotto di Bondone
mit seinen Fresken in Padua und Florenz. Breit und schwer, mit beiden Füßen
fest auf dem Boden stehend, wachsen seine Gestalten empor, bis in die letzte
Falte ihrer mächtig fallenden Gewänder mit Energie geladen. Die Reaktion auf
diese diesseitsgerichtete Generation bildet ein weicheres und kultivierteres Ge-
 
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