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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0079
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BESPRECHUNGEN.

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Dies Symbol ist nicht Summe, nicht Zusatzerscheinung, nicht Beziehung — obwohl
wir uns durch Achten auf die Beziehungen, auf die Funktionen der Teile den Weg
zur symbolischen Erleuchtung bahnen können. Charakteristisch ist dann auch das
plötzliche „Einschnappen", das sich u. U. sogar wiederholt, wenn es gelingt, das
Symbol nochmals zu „erweitern" (so daß das Gedicht gewissermaßen Mittelpunkt
konzentrischer Kugelhüllen ist). Dagegen erfriert das Symbol, wenn wir seine
Teile auf Teile eines andern, „eigentlich gemeinten", ganz bestimmten Gegen-
standes, Vorganges oder Zusammenhanges beziehen, ähnlich wie es bei dem Ver-
gleich der Fall war. Einer „kalten" Allegorie aber mit ihren toten Attrappen ist
dies Verfahren durchaus angemessen. — Auch von Transponierbarkeit des Sym-
bols kann die Rede sein: Dasselbe spezielle Symbol kann sich auf ganz ver-
schiedene „stoffliche Unterlagen" gründen. Vielleicht wird man Beispiele wie diese
vier Gedichte nicht weiter merkwürdig finden, weil sie den Grundgedanken (die
Vergänglichkeit des Menschlichen im Gegensatz zur ewigen Dauer der Natur)
deutlich und bestimmt, mittels des Kehrverses, herausarbeiten: Liliencron „Schwal-
bensiziliane" (Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder), Ernst Bertram
„Dämon des Kreises" (Immer wieder liegt ein Mund in der Sonne und wärmt sich),
Ina Seidel „Trost" (Unsterblich duften die Linden), Dehmel „Ein Freiheitslied"
(Dann blühen die Blumen noch immer so). Mit größerer Überraschung wird man
bei folgenden Zusammenstellungen das gemeinsame symbolische Zentrum durch-
leuchten sehen: Münchhausen „Alte Landsknechte" und Rilke „Der Panther"; beide
Gedichte zeigen gleichen Verlauf (nur manchmal) und stellen die Ohnmacht ur-
sprünglich kraftvoller Wesen dar, die aus ihrer natürlichen Sphäre gehoben wurden;
oder Goethe „Die Libelle" und Falke „Das Licht"; hier ist die Zerstörung eines
unsagbar Feinen durch zudringende Berührung gestaltet. Goethes Schlußverse
sind jedoch zu „eng", sie bringen eine „Nebendeutung", wirken rational ertötend
durch die Streifenbeziehung: Knabe = Zergliederer eignen Seelenlebens, Libelle
= Freude. Diese Deutung im Gedicht selbst verdirbt die symbolische Gestalt. —
Bedeutet Transponierbarkeit: gleiches Symbol für verschiedene Stoffe, so vermag
auf der andern Seite der gleiche Stoff verschiedene Symbole zu „enthalten" (Meyer
„Römischer Brunnen", Rilke „Römische Fontäne"), ja, wie bei optischen und
akustischen Gestalten kann eine winzige Änderung das Ganze verschieben, sofern
sie nur ein hochwertiges Glied betrifft. Dazu rechnet vor allem der Schluß. So
empfinde ich einen Unterschied des Symbolischen in den beiden Fassungen des
„Römischen Brunnens", je nachdem die letzte Zeile so lautet: und alles strömt,
und alles ruht, oder kürzer so: und strömt und ruht. (Vgl. Deutsche Vierteljahrs-
schrift IV, S. 774.) — Erschließen wir vom Gedicht her seine Entstehung, so
müssen wir annehmen: Die Einzelzüge werden nicht als bloße Assoziationen her-
beigerufen, sondern ein geistiges Zentrum ist verantwortlich für Auswahl und
Schöpfung; nicht die Einzelassoziationen schaffen das Ganze, sondern umgekehrt
bestimmt das Ganze die Einzelassoziationen: Vorstellungen und Wahrnehmungen
des Dichters kommen zur Geltung oder werden unterdrückt, wie das Symbol es
erfordert. Das Symbolganze also, das aber „so zunächst noch gar nicht da ist",
nimmt die Dinge aus ihren für seine Zwecke gleichgültigen natürlichen Wirkungs-
zusammenhängen heraus und „zentriert" sie in seinem Sinne „um".

Hier sollte man, scheint mir, systematisch, aber ohne dem Systemzwang zu
verfallen, weiter sammeln und suchen. Gewiß, es ließe sich auch ohne Hilfe der
G.Th. auf diesem Wege weiterschreiten. Überhaupt darf man die Leistungsfähig-
keit dieser Theorie, insbesondere ihre Bedeutung für die Ästhetik, nicht über-
schätzen. Eine Erklärung des Organischen im Kunstwerk wird auch sie nicht

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XXVII. 5
 
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